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Trias

Titel: Trias Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Kayser
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Ähnlichkeit mit Hilpert in Alter, Größe und Aussehen auf. Hilpert beschattete sein Opfer mehr als einen Monat lang. Er prägte sich dessen Habitus, seine Trink- und Essgewohnheiten und seinen Umgang mit Geld genauestens ein. Weil dessen Privatleben nicht passte, schrieben unsere Passfälscher in Hilperts Pass: elternlos. Mit dem Geld des MfS gründete er in Trier eine Unternehmensberatung für den optoelektronischen Anlagenbau. Wer Kunde wurde und wer nicht, entschied Hilpert nach der Brisanz seines Wissens und der Zuverlässigkeit seiner Buchhaltung. Wenn er Quellen suchte, schaltete er Anzeigen in Zeitungen. Er bot Jobs in Deutschland an, fragte die Bewerber, ob sie auch ins Ausland gehen würden, und platzierte so mehr als 45 informelle Mitarbeiter bei der NATO und EU in Brüssel oder in den Rüstungsbetrieben an der Saar. Er bezahlte sie in bar, das Geld dafür hob er in Österreich ab.« Storm griff nach der Wasserkaraffe und schenkte sich ein.
    »Und wie bekam er sein Material über die Grenzen in die DDR?«, hakte Croy nach.
    Storm hob kurz seine Hände. »Mit einer Miniaturkamera. So, wie ich damals auch. Ich stellte Mikropunkte her, die 1 x 1 Millimeter maßen, auf denen die Berichte abgelichtet waren. Dann nahm ich eine Ansichtskarte, vielleicht eine mit dem Rathaus der jeweiligen Stadt, löste die obere Fotoschicht ab, platzierte darunter die Mikropunkte und schloss die Schicht wieder. Auf die Karte schrieb ich: ›Heute war ich im zweiten Stock im Rathaus Dortmund. Viele Grüße …‹ Empfänger wissen so genau, wo sie die Mikropunkte mit den Spionageberichten zu suchen haben. Ein Treppenwitz der Geschichte: Die Deutsche Bundespost half uns DDR-Agenten dabei. Sie beförderte die ostdeutschen Agentenberichte für 60 Pfennig pro Karte von West nach Ost.«
    »Wie erfolgreich war Hilpert denn nun? Sie sprachen vorhin davon, er sei ein äußerst wichtiger Spion gewesen.«
    »Hilperts Meisterstück war die Übersendung der Konstruktionspläne eines atombetriebenen Aufklärungssatelliten für die US-Armee. Die damalige Sowjetunion war begeistert.« Storm nahm wieder einen Schluck Whisky. Croy blieb bei Wasser.
    »Und warum flog er auf?«, fragte er. »Anscheinend hatte er doch alles richtig gemacht, oder?«
    »Zufall und die Unschuld eines Kindes führten zu seiner Enttarnung. Eines Tages stürzte sein Legendenspender bei der Reparatur seines Riesenrads ab. Bei der Löschung des Toten aus den Melderegistern stießen die Beamten auf zwei Männer des gleichen Namens, gleicher Herkunft, gleichen Geburtsjahres, aber unterschiedlicher Adresse. Fahnder vom Verfassungsschutz observierten ihn zwei Monate und stürmten dann sein Haus. Die Mikrokamera warf er noch schnell in die Spielzeugkiste seines Sohnes. Doch der unschuldige Kleine streckte sie ihm nach wenigen Minuten - in Anwesenheit der Fahnder - mit den Worten entgegen: ›Guck mal, was ich hier gefunden habe …‹ Hilpert kam für vier Jahre in Haft. Seine Frau, die von dem Doppelleben ihres Mannes lange nichts gewusst hatte, verließ ihn bald darauf und nahm den inzwischen halbwüchsigen Sohn mit sich.« Storm schwenkte sein Glas. Er fummelte eine Zigarette aus der Innentasche seines Jacketts und entzündete sie. »Was Hilpert blieb«, sagte er nach dieser kleinen Pause, »war ein Scherbenhaufen aus verlorenen Illusionen und Zweifeln darüber, ob der Glaube an den Sozialismus auch immer die eigenen Taten rechtfertigte: die jahrelange Mimikry, die immerwährende Verstellung, der andauernde Vertrauensmissbrauch anderen Menschen gegenüber …« Storm blies einen Rauchkringel gegen die Decke.
    »Und wie ging’s dann weiter? Hatten Sie noch Kontakt?«
    »Ja, über die ISOR. Nach dem schmerzlichen Beitritt der DDR zu einem gesamtdeutschen Staat schlug Hilpert sich mit Gelegenheitsjobs durch. Offiziell lebte er von einer äußerst schmalen Zuwendung, die ihm der Staat als ehemaligem Angehörigen des DDR-Staatssicherheitsdienstes zubilligte. Inoffiziell versuchte er, mit den Russen in Kontakt zu kommen, seine alten Verbindungen wiederzubeleben.«
    »Sie meinen, der Klassenfreund von damals konnte unmöglich zum Klassenfeind der Gegenwart geworden sein.«
    »Dazu kann ich nur sagen, gehen Sie die Namenslisten des heutigen FSB durch, des Nachfolgers des KGB. Bis auf die Rentner und die Weggestorbenen sitzen immer noch die Offiziere von einst auf den Stühlen. Irgendwann im letzten Jahr meldete sich Hilperts ehemaliger Führungsoffizier bei ihm.«
    »Beide rafften

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