Trias
machten nochmals einen Ausflug ins Gelände. Dann zog auch er sich, in Deckung bleibend, gebückt zurück.
Sie rollten gemächlich über den Fahrradweg einen Hügel hinunter, der am Ende auf eine Kreuzung mündete, auf der sich mehrere Tramlinien und der Autoverkehr kreuzten. Croy gab Gas, schoss hinter einer abbiegenden Straßenbahn hervor auf die Straße und reihte sich schnell in einen kleinen Ampelstau ein.
Vor einem Delvita -Supermarkt stoppte Croy, schob sich seine Waffe in den Gürtel und kaufte schnell ihren Abendproviant ein.
In der Pension angelangt, zeigte die Besitzerin ein breites Lächeln.
»Wie geht es Ihnen, Herrrr Köhlerrrr?« Sie sah neugierig auf Croys Begleiter.
»Dobri, gut«, antwortete der Ermittler und stellte der auch heute mit viel zu viel Schmuck behangenen Frau Storm als Kollegen vor, mit dem er die nächsten Tagen »der Geschäfte wegen« in Prag zu tun habe. Sie nickte gleichgültig. Solche Sätze kannte sie zu gut.
Im Frühstücksraum schoben die Männer zwei Tische zusammen, gruppierten Gläser, Teller, Bestecke und die Flasche Whisky vor sich und setzten sich gegenüber. Storms eisgraue Augen glitzerten im Licht der Deckenleuchte. Croy holte eine Karaffe mit Wasser. Storm packte sich die Hände voller Trauben.
»Kaltenborn deutete an, dass die Agentenkarriere Hilperts der Ihrigen ähnelte. Was könnte Hilpert zu einem Attentäter machen? Wer ist dieser Mann?«
»Einen Augenblick«, sagte Storm. Er griff in seine Tasche. In den Händen hielt er ein Funktelefon, an das er jetzt einen winzigen Aufsatz steckte. Croy blickte ihn fragend an.
»Ein Kryptonator. Verschlüsselt Gespräche. Eine chinesische Erfindung.« Storm hatte im selben Moment das Gefühl, gerade etwas Unbedachtes gesagt zu haben. Croy aber schien nichts bemerkt zu haben. So gleichgültig wie möglich tippte Storm eine Nummer ein und wartete. Croy sah ihn fragend an.
Storm schirmte sein Mobiltelefon mit einer Hand ab. Leise sagte er: »Ein Freund vom FSB. Er kannte Hilpert gut. Er wird uns etwas dazu sagen, was Hilpert zuletzt trieb.«
Croy schnitt indes die Baguettes in vier gleiche Teile und verteilte sie samt Käse, Trauben und Tomaten auf die Teller. Storm bat seinen Gesprächspartner auf Russisch um ausführlichere Informationen und um einen möglichst raschen Rückruf. Dann beendete er das Gespräch. Er setzte sich und begann zu essen.
Croy hielt sich einen Moment lang zurück, dann fragte er ungeniert: »Wieso haben Sie mit mir Probleme?«
Storm sah ihn konsterniert an. »Wer behauptet das?«
»Kaltenborn.«
»Ach, da hat er etwas missverstanden. Sie haben mir bei unserem ersten Treffen für meinen Geschmack zu viele Löcher in den Bauch gefragt. Glauben Sie mir: Wenn man nicht freiwillig zu einem Geheimdienst kam, sich aber dann mit der Situation arrangierte und später sogar mit Lust dabei war, holt einen dennoch ab und an das schlechte Gewissen ein. Ich habe mich als Jugendlicher nicht gegen die Vereinnahmung durch die Stasi gewehrt.«
»Ich bin Ihnen zu nahe getreten?«, fragte Croy.
»So kann man es auch sagen. Ich gehöre vielleicht zu den wenigen ehemaligen MfS-Offizieren, die tatsächlich bereuen, dem DDR-Staat bedingungslos ergeben gewesen zu sein. Das werfe ich mir heute selbst vor.«
Croy hatte Zweifel an dem, was Storm sagte. Er hätte sich spätestens nach der politischen Wende in der DDR 1989 von allen Kontakten zu anderen Geheimdiensten lossagen und ein neues Leben beginnen können. Doch das hatte er nicht getan.
»Warum haben Sie nicht wieder als Ingenieur in Ihrem Fachgebiet gearbeitet?«
Storm blinzelte ihn an. »Ein Agent bleibt immer ein Agent. Er ist eitel und misstrauisch. Wenn er viel erreicht hat, ist er sogar stolz auf seine Karriere. Aber er ist charakterlich von dem Beruf versaut.« Storm erhob sein Glas.
»Versaut?«, fragte Croy knapp.
»Auf die Gesundheit«, sagte Storm und blinzelte sein Gegenüber an. Croy fühlte sich gesünder denn je und sah auf Storms Pflaster über dem linken Auge.
»Ich will nicht von mir ablenken«, begann Storm, »aber nehmen wir Hilpert. Sein Lebenslauf ist typisch für einen Geheimdienstagenten. Was ich Ihnen jetzt erzähle, war mal top secret.« Sein Ton klang dabei so verschwörerisch, als hätten die Wände Ohren. Er langte nach einem Tomatenstück.
»Franz Hilpert war und ist noch heute stolz darauf, einer von den 6 000 Auslandsspionen der DDR in der ehemaligen BRD gewesen zu sein. Er stammte aus Sachsen, war der Sohn eines
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