Trickser: Sammelband: Der Iril-Konflikt - Zwischen allen Fronten (German Edition)
nichts entgegenzusetzen. «Nicht diese Finger», bettelte er, «nehmt andere.»
Sie hörten nicht auf ihn. Der Arm mit der Kreissäge senkte sich langsam herab, kam den Fingern immer näher. Mayhew fragte sich, ob man einem Roboter sadistische Gelüste einprogrammieren konnte, als Sey wenige Zentimeter vor der Hand verharrte, nur um die Sekunden noch langsamer verstreichen zu lassen. Die feinen Zähne der Kreissäge berührten das Fleisch der Finger, durchtrennten Nerven und Sehnen und fuhren mit einem schrillen Singen durch die Knochen.
***
Frottel zu finden erwies sich als zeitaufwändiger, als es sich Indra Fey vorgestellt hatte. Sie ging das Viertel, in dem er am häufigsten verhaftet worden war, systematisch ab, zeigte sein Bild den Gastwirten und Ladenbesitzern – und einige kannte ihn sogar. Aber wo er im Moment war, konnte oder wollte niemand sagen. Er war ein Stromer, sagten sie, von dem man nicht viel mehr kannte als das Gesicht. In der Kneipe, in der sie sich kennen gelernt hatten, wurde ihr auch nicht geholfen.
Auf jedem anderen zivilisierten Planeten hätte sie sich in das Computernetzwerk eingeklinkt, um es sich melden zu lassen, wann immer Frottel einen der öffentlichen Dienste beanspruchen würde: ein Visifonat, eine Reinigung, eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Geldauszahlung oder etwas Ähnliches. Doch dieser Planet war wohl einer der wenigen im gesamten Reich, auf dem jeder Rechner für sich arbeitete. Sie hätte schon in den virtuellen Raum des NATI-Netzes eintauchen müssen, um an diese Informationen zu kommen, aber sie war kein Konsolenjockey und verließ sich lieber auf ihre Füße.
Die Zivilisation auf Rok – wenn man es so nennen wollte – war eine Laune des Schicksals. Vor gut hundert Jahren war er besiedelt worden. Damals verlief die Hauptverkehrsroute des Tauhaus-Distrikts durch dieses Sonnensystem, doch man hatte Rok kaum beachtet. Sechs Ozeane bedeckten achtzig Prozent der Oberfläche, die Landmassen waren nur schmale Arme im großen Blau – was konnte an diesem Planeten von Interesse sein? Durch die Unmengen an Wasser regnete es ständig, Winde peitschten wild über die Landstreifen. Zwar waren die Temperaturen angenehm und die Luft hatte ein für Menschen gutes Sauerstoff-Stickstoff-Verhältnis, doch warum sollte man auf Rok leben wollen?
Das war alles, was man wusste, bis ein findiger Forscher den Planeten genauer untersuchte. Er erkundete nicht nur die Landmassen, sondern stieß hinab auf den Meeresgrund – und wurde fündig. Einer der Ozeane musste, geologisch betrachtet, jung sein. Bevor das Wasser sie begraben hatte, war dort eine mehrere tausend Quadratkilometer große Ebene gewesen, und diese Ebene war reich an fossilen, nicht erschlossenen Rohstoffen.
Der Forscher sah seine Chance und erhob Besitzanspruch auf den besagten Ozean und alles darunter befindliche Gut. Der nächste Schritt war es, Geldgeber zu finden. Er fand sie. Mit ihren Krediten baute er mehrere Städte, im und um den Ozean. Er errichtete Industrieanlagen und kaufte Arbeiter. Binnen einer Dekade wurde der Reichtum der versunkenen Ebene gefördert, verarbeitet und verladen. Der Forscher investierte noch mehr und wurde ein reicher Mann. Er kaufte den gesamten Planeten und wurde als einer der größten Unternehmer seiner Tage gefeiert. Rok erblühte dank seiner Bodenschätze und der Nähe zu den Frachtrouten.
Während dieser Jahre führten die Merdianer Krieg in diesem Distrikt. Sie schickten ihre Flotten aus, um Planeten zu erobern, und sie siegten. So vergrößerte sich das Merdianische Reich um einige hunderte Kubiklichtjahre, die Grenzen wurden neu gesteckt – und um eine Versorgung der Truppen in den neuen Gebieten zu gewährleisten, mussten die Frachtrouten umgeleitet werden. Eine der Routen, deren Verlauf entscheidend geändert wurde, um den politischen und strategischen Plänen der Merdianer zu entsprechen, war die Strecke an Rok vorbei. Innerhalb eines Monats wurde die Planung umgesetzt, und der Planet Rok verlor nahezu über Nacht seinen entscheidenden Handelsvorteil. Nun war er nichts Besonderes mehr, sondern nur ein weiterer Rohstofflieferant, weit entfernt von einer großen Handelsroute und in einem Teil des Distrikts, der für die Merdianer eher unbedeutend war.
Ein kluger Politiker hätte diese Entwicklung vielleicht vorausgesehen, ein guter Geschäftsmann für schlechtere Zeiten Rücklagen angelegt, ein weiser Denker um die Vergänglichkeit des Glücks gewusst.
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