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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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Was Ihr mir erzählt habt, ist nur eine alte Geschichte, und selbst wenn sie der Wahrheit entspricht, wird kein Richter ihre Vergleichbarkeit anerkennen. Und was das angeht, könnt Ihr ohnehin schlecht einen jungen Fürsten und die Lebensgefahr, in der er sich befand, neben irgendeinen vaterlosen Jungen vom Brandhorst stellen.«
    »Nein?« Ardeija hatte nun eine vage Vorstellung davon, wo der Kopf des Tigers sein würde, und das machte ihn stolz genug, um Oshelm einen herausfordernden Blick zuzuwerfen. »Wisst Ihr denn, wessen Sohn Rambert ist? Vielleicht ist sein Vater ja ein großer Herr oder ein wackerer Krieger. Von irgendjemandem muss Rambert seine Begabungen schließlich haben. Theodulf sagt, dass er einmal ein guter Schwertkämpfer sein wird.«
    Oshelm sah Ardeija seltsam an, sagte aber kein Wort mehr.

24. Kapitel: Unvernunft
    Der kleine und reichlich angeschlagene steinerne Löwe, in dessen Maul ein wohl von einem übermütigen Vorüberkommenden zurückgelassener Wacholderzweig steckte, hatte das Gartentor noch nicht bewacht, als Herrad ihren magister iuris zuletzt besucht hatte. Er musste die Zeit, in der sie sich in Tricontium aufgehalten hatte, zu einem seiner Plünderungszüge durch die herrenlosen Trümmerfelder der Stadt genutzt haben. Vor zwanzig Jahren war er auf die gleiche Weise zu der kopflosen Nymphe gekommen, die ihre Reize neben den drei Stufen zur Schau trug, die zur Tür des kleinen Hauses hinaufführten, das windschief an der östlichen Stadtmauer lehnte. Zwischen Büschen und schlecht gepflegten Beeten waren weitere Zeugnisse dieser Sammelleidenschaft im ganzen Garten verteilt. Sogar auf dem Sims des halb geöffneten Fensters neben der Tür lag ein eigenartig geformter Stein, der vielleicht einmal der Finger einer großen Statue gewesen war. Aus dem Innern des Hauses drangen der Geruch gebratener Zwiebeln und vergnügtes Summen, beides sichere Zeichen, dass sie den richtigen Zeitpunkt abgepasst hatte und Paulinus von Masolacum nicht mit seinen Schülern, sondern mit der Zubereitung seines Mittagessens befasst war.
    Herrad klopfte. »Wart Ihr auf Löwenjagd?«
    Das Summen verstummte. Bald darauf öffnete sich die Tür und die hagere Gestalt des Magisters erschien auf der Schwelle. »Du kommst wohl auch nur her, wenn du weißt, dass es etwas zu essen gibt«, sagte er mit gespieltem Vorwurf, um Herrad gleich darauf wie eine verloren geglaubte Tochter zu umarmen und ins Haus zu ziehen. »Und ich nehme doch an, dass du zum Essen bleiben wirst? Setz dich … Nein, nicht auf die Bank. Dorthin.«
    Zu Herrads Erstaunen deutete ihr Lehrer auf den kissenbeladenen Lehnstuhl, den er sich stets selbst vorbehalten hatte. Er hatte ihr, solange sie ihn kannte, noch nie angeboten, in diesem Sessel zu sitzen, noch nicht einmal, als er seinerzeit entzückt gewesen war, sie nach fast zweijähriger Abwesenheit aus dem Süden zurückkehren zu sehen. Herrad schloss daraus, dass sie noch schlimmer aussehen musste, als sie angenommen hatte, und ließ sich vorsichtig auf dem ungewohnten Platz nieder, der so bequem war, dass sie fast fürchtete, in der Wärme und Geborgenheit des engen Hauses einzuschlafen.
    Paulinus hielt ihr ein Stück Schweinefleisch von beachtlicher Größe unter die Nase. »Hier, sieh dir das an. Vor zehn Jahren hätte ich auch noch nicht gedacht, dass ich so etwas einmal als Bezahlung würde annehmen müssen, aber seit dem Krieg werden die Zeiten ja immer schlechter … Der Schlachter, der mir seinen Sohn schickt – ein strohdummes Kind, übrigens, aber wie soll ich das auch nur einem von beiden sagen? –, der Schlachter jedenfalls ist in Geldschwierigkeiten und fragt mich, ob das für die nächste Woche reicht. Vielleicht sollte ich nicht böse sein; ich werde heute wie ein König leben. Oder so wie ein Richter in Masolacum, nicht wahr?«
    Es klang halb scherzhaft und brachte Herrad doch dazu, den Blick auf ihre Hände zu senken. Für jemanden, der einmal das Hochgericht einer weit bedeutenderen Stadt als Aquae Calicis unter sich gehabt hatte, ging es Paulinus erbärmlich schlecht, auch wenn er das Beste aus seiner Verbannung und dem Häuschen, für das die Einkünfte aus seiner Lehrtätigkeit hinreichten, gemacht hatte.
    Paulinus war bereits an seinen Herd zurückgekehrt und fuhr unbekümmert fort: »Man hört schöne Dinge über dich. Ist es wahr, dass du dich mit Asgrim vom Brandhorst geprügelt hast?«
    »Wer erzählt das?«
    »Honorius.«
    »Honorius?« Draußen schimpfte eine Amsel.

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