Tricontium (German Edition)
war. Das ist sie übrigens auch. Ramberts Mutter, meine ich.«
»Hat er keinen Vater?«
»Nein, es sei denn, Ihr wollt Theodulf zählen … Aber der behauptet, nicht sein leiblicher Vater zu sein.«
Der Schreiber schüttelte den Kopf. »Wenn das nur keine Entführung ist … Ihr werdet Euch Ärger einhandeln, Ardeija. Frau Herrad wird das niemals gutheißen und selbst wenn sie es duldet, habt Ihr binnen einer Woche Asgrim auf dem Hals!«
Ardeija setzte das Messer neu an und fragte sich, ob es stumpf sein würde, wenn sein Tiger erst ein Tiger war. »Ich werde Euch etwas von Tergeli Khan erzählen«, sagte er, als hätte er den Vorwurf nicht gehört, »besser gesagt, von Tergeli, bevor er Tergeli Khan wurde. Er war der einzige Sohn von Orsu Khatun und ob ihr Mann oder einer ihrer übrigen Beischläfer sein Vater war, weiß man nicht.«
Von dem Brotstück waren nur noch kleine Krumen übrig. »Das sind ja schlimmere Verhältnisse als in Padiacum!«
Von jemandem, der sich noch gestern Abend wie selbstverständlich in Fredas Bett gelegt hatte, ohne nach festen Absichten zu fragen, klang das nicht nach ganz aufrichtiger Empörung, doch Ardeija lächelte nur, ohne aufzusehen. »Ja, nur dass es dort niemand für schlimme Verhältnisse gehalten hätte. Ihr müsst eines verstehen, Oshelm: Wenn Ihr ein großer Khan seid oder eine große Khatun, dann ist es ein Zeichen von Herrschaft, auch alle Frauen bekommen zu können, die Ihr haben wollt. Oder alle Männer. Nun, oder beides. Aber in dem Fall würde man Euch wahrscheinlich selbst dort einen gewissen Hang zu übertriebenem Wohlleben vorwerfen. Und Orsu war in der Tat eine große Khatun: Zwei Stämme folgten ihrem Feldzeichen. Man sagt, dass sie zweiundvierzig Geliebte hatte, davon mindestens sechzehn zu einer Zeit. Doch leider wurde sie nicht alt.«
»Ist das ein Wunder?«
»Oh, daran lag es nicht.« Ardeija betrachtete prüfend das störrische Holzstück, das sich seinen Bemühungen zäh widersetzte. »Sie ist auf der Jagd vom Pferd gestürzt und drei Tage darauf gestorben. Manche sagen, ihre drei Brüder hätten das Pferd zum Straucheln gebracht, da sie selbst nach der Herrschaft gierten. Das erste, was sie taten, kaum dass sie ihre Schwester begraben hatten, war jedenfalls, ihren Mann und all ihre Geliebten umzubringen. Doch vor Tergeli, ihrem Sohn, scheuten sie zurück, denn er war noch ein Kind und keine zehn Jahre alt. Sie beratschlagten, was sie mit ihm nun beginnen sollten, und der älteste Bruder sprach endlich: ›Der Sohn unserer Schwester soll von nun an meine Ziegen hüten. Lernt er, damit zufrieden zu sein, so wird er nie nach der Macht streben und uns nicht zu verdrängen trachten. Auch wird niemand einem Khan folgen, der einmal Ziegen gehütet hat.‹ Denn ein Ziegenhirte kann kein großes Ansehen beanspruchen; ein Barsakhane von hoher Geburt hütet vielleicht die guten Pferde seiner Eltern, niemals aber Ziegen. Tergeli aber war nicht mehr so klein und unbedarft, dass er das nicht gewusst hätte. Er durchschaute die üblen Absichten seines Onkels. Erst stellte er sich willig, doch sobald man ihn aus den Augen gelassen hatte, stahl er das Pferd des Mannes, der ihn zum Ziegenhirten hatte machen wollen, ein prächtiges weißes Pferd, mit dem kein anderes mithalten konnte. So entfloh er, ohne dass die Häscher seiner Verwandten die Hoffnung gehabt hätten, ihn einzuholen, und kam zu einem Hügel zwischen zwei Bächen, wo Ambitai ihr Zelt aufgeschlagen hatte, eine Jägerin aus dem Stamm, dem auch Orsu Khatun von Geburt angehört hatte. Als Ambitai jung gewesen war, hatte sie sich in einen Mann vom Volk der Skoloten verliebt, der als Kriegsbeute in die Hände der Barsakhanen gelangt war. Doch der bedeutende Krieger, dem er gehört hatte, hatte ihn nicht freigeben wollen. So waren sie heimlich geflohen und lebten nun mit Bauduras, ihrem Sohn, fern aller Menschen. Ambitai erkannte, dass es ihr nützlich sein konnte, das Kind Orsu Khatuns zu verstecken, und sprach: ›Ich habe einen zweiten Sohn bekommen.‹ Von da an zog sie Tergeli und Bauduras gemeinsam auf wie Brüder, bis Tergeli alt genug war, sich vor der Welt zu erkennen zu geben und die Herrschaft, die ihm zustand, zu erobern. Sagt mir nun eines, Oshelm. War Ambitai eine Entführerin?«
Der Schreiber fegte die Überreste des Brots vom Tisch. »Jedenfalls war sie viel zu berechnend, um ein mildes Urteil über ihre Handlungsweise zu verdienen. Doch was sagt das über Euch und jenen Rambert? Nichts.
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