Tricontium (German Edition)
wie?« Aslak gab noch nicht auf. »Das sollte ich wohl verstehen. Deine vielfältigen Pflichten lassen dir sonst sicher kaum Zeit, nachzudenken, nicht wahr? Du musst froh sein, dich nun erholen zu können.«
»Ich nehme an, du würdest es vorziehen, den ganzen Tag ohne Pause zu arbeiten, oh großer Aslak?« Hatte er das tatsächlich gerade gesagt? Wulfs ständige Gesellschaft musste einen schlechten Einfluss auf ihn haben.
Doch Aslak lachte nur. »Entdeckst du endlich deinen Mut, kleiner Schreiber? Nein, das ist nicht die Art von Arbeit, die ich meinte.« Seine Lippen verzogen sich zu einem Ausdruck bösen Spotts. »Da du nun fragst … Gewiss könnte ich den ganzen Tag arbeiten, wenn ich müsste. Aber anders als du bin ich kein Schwächling, den man zwingen kann, auch noch die ganze Nacht zu arbeiten.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, brachte Oshelm mühsam hervor, obwohl er sehr wohl verstand; doch mittlerweile hörten so viele andere zu, dass selbst Aslak wohl nicht so weit gehen würde, eine derart lächerliche und zugleich beleidigende Beschuldigung in deutlicheren Worten zu wiederholen.
Der Pferdedieb spuckte aus. »Es ist doch wohl kein Geheimnis«, sagte er laut, und noch mehr Blicke wandten sich ihnen zu. »Du magst ja hässlich wie die Sünde sein, Schreiber, aber man kann sich nun einmal nicht aussuchen, mit wem man seine Zelle teilt, und warum würde wohl irgendjemand auf dich aufpassen wollen, wenn nicht, um dich zu seiner Hure zu machen?«
Oshelm hatte sich seit seiner Schulzeit mit niemandem mehr geprügelt und selbst damals hatten die halbherzigen Schläge, die er ausgeteilt hatte, niemals viel Schaden angerichtet. So war er selbst erstaunt, als sein Fausthieb Aslak stürzen und mit dem Kopf hart auf das Wasserfass treffen ließ, und entsetzt, als der Mann nicht wieder aufstand.
Seit seiner Ankunft in Mons Arbuini war Oshelm noch nie vor den Hauptmann der Wachen gebracht worden. Als er schließlich vor Gero auf den kalten Steinfliesen kniete, war er bereits zu der Ansicht gelangt, dass diese Erfahrung ihm nicht unbedingt zu seinem Glück gefehlt hatte. Immerhin konnte er zu diesem Zeitpunkt schon wieder halbwegs klar denken und das war ein Fortschritt. Als man ihn durch wirbelnde Schneeflocken über die Höfe zu dem schmucklosen Gebäude geführt hatte, das dem Hauptmann als Wohnung diente und auf seine Art eigentlich kaum besser als die Zellen der Gefangenen war, hatte er noch immer das Bild des hingestreckten Aslak, der sich nicht mehr gerührt hatte, vor sich gesehen. Wenn schon diejenigen, die den Wachen widersprachen oder nicht den nötigen Arbeitseifer an den Tag legten, mit empfindlichen Strafen zu rechnen hatten, was würde man dann erst mit jemandem tun, der einen anderen verletzt, vielleicht gar erschlagen hatte?
Er hätte wohl Reue empfinden sollen, doch der Gedanke, dass er – er, Oshelm Kra, der doch sein Leben lang rechtschaffen gewesen und nur hierher geraten war, weil er dem falschen Herrn gedient hatte – vielleicht jemanden getötet hatte, war derart unfassbar, dass er ihn selbst nicht ganz begreifen konnte. »Wie der Schreiber den Pferdedieb erschlug« … Das hätte ein Lied sein können, das ein fahrender Sänger aus dem Stegreif erfand, um eine Halle voll Betrunkener zum Lachen zu bringen, aber auch nicht mehr als das, nichts, was tatsächlich geschehen war.
Nein, seine Tat fühlte sich nicht an, als ob er sie wahrhaftig begangen hatte. Alles andere aber bildete er sich nicht nur ein, weder die Kälte, die immer tiefer in seinen Körper zu kriechen schien, noch das Gewicht der Ketten, die ihm die Hände auf den Rücken fesselten. Sogar das einsame vertrocknete Blatt, das neben Geros Stiefelspitze lag, erschien ihm wirklicher als das, was vor kaum einer Viertelstunde geschehen war.
Der Hauptmann schien es nicht eilig zu haben. Er hatte den Wachen einen Wink gegeben, sich bis an die Tür zurückzuziehen, und sah nun in aller Ruhe einige Papiere durch, als könne Oshelm getrost warten, bis er ihm sein Urteil sprach.
»Na«, sagte er am Ende und sah Oshelm über den kleinen Tisch hinweg an, der zwar leicht genug war, auseinandergenommen auf einem Feldzug mitgeführt zu werden, aber für anfallende Schreibarbeiten kaum genug Platz bot, wenn man auf eine schöne Urkundenschrift Wert legte.
Dieser vielversprechenden Einleitung folgte lange kein weiteres Wort, und Oshelm fragte sich, ob es wohl Teil seiner Strafe war, dieses Schweigen zu erdulden und sich
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