Tricontium (German Edition)
ob sie es sich wohl leisten konnte, diesen Ratschlag für eine halbe Stunde zu vergessen, um Guntram für das, was er Wulfila angetan hatte, für Getas Missetaten und für den unerfreulichen Zustand der Welt im Allgemeinen gründlich leiden zu lassen. Doch Rache war nur Rache und selten gerecht; es würde anders gehen müssen. »Hat er noch mehr gesagt?«, fragte sie also nur.
Otter hob die leeren Hände und hätte wohl selbst dann nicht mehr viel zu erzählen gehabt, wenn kein Klopfen an der Tür das Gespräch unterbrochen hätte. Maurus wartete die Aufforderung der Richterin gar nicht erst ab, bevor er ins Zimmer trat. »Ihr müsst herunterkommen, Frau Herrad. Der Zauberer sagt, er will nicht in die Kanzlei herauf, weil hier böse Geister wohnen, aber was er Euch zu sagen hat, scheint wichtig zu sein.«
Herrad war mit ihrer Geduld am Ende. »Ich habe keine Anweisung gegeben, den Zauberer heute überhaupt zur Befragung vorzuführen, und wenn von ihm weniger als ein volles Geständnis kommt, habe ich jetzt weder Zeit noch Lust, mich mit dem Kerl zu befassen.«
Doch Maurus zog sich nicht zurück. »Nicht der Zauberer. Herr Malegis ist unten und will mit Euch reden. Oshelm und der Hauptmann haben ihn mitgebracht.«
Das genügte endgültig. »Soll ich Euch etwas sagen? Was Malegis will oder nicht will kümmert mich einen Dreck und ich verwahre mich gegen die Unterstellung, hier oben wären böse Geister.«
Sie stand auf, schlug ein Kreuz und wandte sich zur Mitte des Raumes. Zwar hatte sie fast alles, was sie in ihrer Kindheit über Zauberei und Spuk gehört hatte, verdrängt und vergessen, doch sie besann sich noch vage auf eines, was die alte Dienerin ihrer Mutter über Geister erzählt hatte. Wenn sie polterten und mit den Vorhängen spielten, ohne großen Schaden anzurichten, wollten sie meist nur beachtet werden und man musste ihnen ein Trankopfer oder ein Stück süßen Kuchen anbieten; dann war alles wieder gut. Vielleicht wirkte das Mittel ja auch vorbeugend, damit schweigende Gespenster weiterhin stumm blieben?
»Hört einmal her, Ihr Geister dieses Hauses! Ich glaube nicht, dass Ihr so böse seid, wie mein ungebetener Gast dort unten behauptet, und wenn Ihr es doch seid, dann solltet Ihr Euch gut überlegen, wen Ihr diese Bosheit spüren lassen wollt. Mit mir kann man auskommen, wenn man mich nicht ärgert. Da drüben steht eine Schale mit kaltem Tee; die dürft Ihr haben und ich werde Euch auch künftig etwas abgeben, wenn wir einander fürderhin als gute Freunde betrachten können.«
An Maurus gewandt fuhr sie fort: »So, das wäre erledigt. Sagt Malegis, dass die Geister friedlich sein werden und dass er herkommen soll, wenn er mich zu sprechen wünscht. Man diktiert mir nicht, wo genau ein Gespräch in meinem eigenen Hochgericht stattzufinden hat.«
Otter und Maurus waren beide blass geworden und rührten sich noch immer nicht, als Herrad längst wieder auf ihrem Stuhl saß. »Worauf wartet Ihr, Maurus? Geht und sagt es ihm.«
Doch Maurus ging immer noch nicht; stattdessen überkreuzte er die Finger wie zur Abwehr alles Bösen. Otter deutete nach einem ungewohnt langen Zögern auf die Teeschale. »Trocken«, sagte er. »Und sie hat sich eben ein klein wenig bewegt.«
»Gut«, gab Herrad zurück und beglückwünschte sich zu ihrer langjährigen Übung darin, Schrecken und Erstaunen von ihrem Gesicht fernzuhalten. »Wenn die Schale leer ist, sind sie auf den Handel eingegangen. Sie werden uns nichts tun und auch den Zauberer in Frieden lassen, wenn er sie nicht reizt. Holt ihn.«
Der alte Krieger setzte sich endlich in Bewegung; Otter blieb und konnte den Blick immer noch nicht von der Teeschale abwenden. »Ihr seid wirklich mutig, Frau Herrad.«
»Alles andere als das.« Herrad erinnerte sich noch zu gut an Malegis’ Erscheinen in Tricontium und ihre Angst vor dem eingebildeten Teufel. »Ich habe nur genug von Leuten, die tausend Empfindlichkeiten berücksichtigt wissen wollen und einen unnötigen Aufwand betreiben, statt einen den einfachsten Weg gehen zu lassen. – Na, Oshelm, seid Ihr wieder gesund?«
Doch der Schreiber, der als Erster eintrat, lachte nicht und hatte noch nicht einmal den Anstand, eine verlegene Entschuldigung zu murmeln. Er sah sich nur misstrauisch in der ganzen Kanzlei um und fragte dann: »Ist es wahr, dass Ihr gerade Geister gebannt habt? Maurus wagt sich nicht wieder herauf.«
»Maurus soll sich zusammenreißen. Ich habe den Geistern nur Tee angeboten«, erwiderte
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