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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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Heer.
    »Du wirst ein guter Kundschafter sein«, hatte Wulf vor bald achtzehn Jahren zu seinem Sohn gesagt, »weil ich einer war; das hast du geerbt.«
    Mit diesen Worten und mit demselben Gottvertrauen, das ihm die Überzeugung verlieh, dass gnädige höhere Mächte sein Kind nicht mit schlechteren Eigenschaften als ihn selbst ausgestattet haben konnten, hatte er einen sehr jungen Wulfila den Viehdieben nachgesandt, die Bernwards weithin berühmten weißen Stier aus Sirmiacum geraubt hatten. Die Diebe waren mitten durch die waldigen Niederungen geflohen, die man die Trollkuhlen nannte und in denen es nachts nicht geheuer sein sollte, doch Wulfila hatte ihre Spur nicht verloren, bis sie bei dem alten Steingrab unter der hohen Buche zur Nacht Rast gemacht hatten und er Bernwards Leute hatte herbeirufen können. Es war damals gut gegangen, obwohl er keinerlei Erfahrung gehabt hatte, und es würde auch heute gut gehen. Frau Herrad sollte nicht sagen können, sie bereue, nicht einen ihrer Krieger gesandt zu haben, und wenn sie auch selbst nichts gegen die Barsakhanen würde ausrichten können, sollte sie doch in Aquae Calicis genug zu berichten haben, um den Vogt, der über ihre unvermeidliche Flucht aus Tricontium nicht erfreut sein würde, zufrieden zu stellen.
    Wulfilas Ziel war der Schafstall oder dessen nähere Umgebung. Da, wo die Beute gesammelt wurde, würden aller Erfahrung nach früher oder später diejenigen erscheinen, denen es zukam, sich die besten Stücke auszuwählen. Es behagte ihm zwar wenig, dass ein schmaler Graben der einzige Weg dort hinüber war, der die nötige Deckung bot, doch wäre es in einer Woche, in der man schon ganz andere Unannehmlichkeiten überstanden hatte, kaum angebracht gewesen, sich über nasse Füße oder über Wasserpflanzen, die uneinsichtig an der falschen Stelle wuchsen, zu beklagen.
    Der Ausflug sollte sich mehr lohnen, als er zunächst gehofft hatte. Vor der Westseite des Stalls, die er vom Waldrand aus nur unvollkommen hatte einsehen können, steckte im Boden eine Lanze, an der drei Rossschweife und das vergoldete Abbild einer Kuh befestigt waren. Wulfila wusste nicht, zu welchem Stamm oder Khan es gehörte.
    Gleich neben diesem Feldzeichen aber war eine Fahne aufgestellt, die er nur zu gut kannte. Sie zeigte einen silbernen Hirsch im grünen Feld und war unglücklicherweise kein Beutestück, saß doch der Mann, der sie führte, mit einem Lächeln auf den Lippen unter dem überhängenden Reetdach, als hätte er nichts zu fürchten.
    Eben nahm er einen Apfel entgegen, den er sich von einem jugendlichen Reitknecht hatte schälen und zerteilen lassen, reichte höflich eine Hälfte an den in Leder gekleideten Barsakhanenhäuptling weiter, der mit gekreuzten Beinen neben ihm saß, und bot dann von den verbliebenen Stücken Frau Oda, die seine Leibwache befehligte, etwas an. Sie winkte mit einem Mangel an Anmut ab, den man wohl nur in vierzig in verschiedensten Heerlagern verbrachten Jahren gewinnen konnte, und ging zum Nordende des Stalls hinüber, wo einige ihrer Krieger herumstanden. Graf Ebbo von Corvisium hingegen lehnte sich womöglich noch behaglicher zurück, verspeiste Apfelscheibe um Apfelscheibe und ahnte nicht, dass ein wenig wohlwollendes Auge ihn beobachtete.
    Wulfila verabscheute durchaus nicht jeden Menschen, der ihn im Laufe der letzten Jahre eingesperrt, verprügelt oder davongejagt hatte. Allein das Aufstellen einer Liste aller Leute, denen er dafür hätte böse sein können, hätte einen gewissen Aufwand bedeutet, und manch einer, der darauf erschienen wäre, hatte gute Gründe gehabt, nicht zu freundlich mit dem in aller Regel ungebetenen Besucher zu verfahren. Graf Ebbo aber kam unter den hassenswerten Bewohnern dieser Welt gleich nach Herrn Bernward, und das nicht etwa, weil er kurz vor Asgrim fast das Gleiche wie dieser befohlen hatte. Asgrim hatte eine zutreffende Anklage vorbringen können, während Ebbo ungerecht gewesen war, doch das war nicht das Schlimmste gewesen. Wulfila hätte sich damit abfinden können, nicht aber mit dem Verlust der Hoffnung, dass alles jemals wieder so gut sein würde wie früher, oder doch besser, als es seit Bocernae gewesen war.
    Lange hatte er geglaubt, das Träumen gründlich verlernt zu haben, doch er war rasch wieder auf den Geschmack gekommen, als ein günstiger Zufall ihn in die Dienste des Grafen von Corvisium geführt und ihm damit endlich wieder zu einem Anflug von Achtbarkeit verholfen hatte. Er hatte allen

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