Tricontium (German Edition)
führte. »Gerade, was Asri angeht. Doch genug. Dort vorn ist es.«
Sie deutete auf ein Haus, neben dessen Tür zwei späte gelbe Rosen wacker dem fortgeschrittenen Herbst trotzten. Im Näherkommen sah Wulfila, dass es sich nicht um ein einzelnes, einheitliches Gebäude handelte, sondern um zwei bescheidene Häuser, die wohl jeweils nur über einen Raum verfügten. Sie mochten einmal unabhängig voneinander bestanden haben, waren aber jetzt durch mannshohe Zäune aus Flechtwerk und einen offenen hölzernen Schuppen so miteinander verbunden, dass ein geschützter Innenhof entstanden war.
Das vordere, mit der Querseite an die Straße grenzende Haus, dessen Tür Herrad nun aufzog, ohne erst zu klopfen, schien Asri als Werkstatt zu dienen, und wie es aussah, gab es genug zu tun. Zwei Lehrmädchen sahen zwischen Körben voll buntem Garn von einer langen Stoffbahn auf, als die Besucher eintraten, und unter einem der Fenster, dort, wo das beste Licht herrschte, wartete in einen Rahmen gespannt ein zarter Schleier darauf, weiter mit winzigen Blüten und Sternen verziert zu werden, eine Arbeit, die sich die Meisterin selbst vorbehalten haben musste. Gleichwohl war sie nirgends zu sehen.
Herrad wunderte sich darüber anscheinend nicht und war offensichtlich ohnehin gewohnt, hier ein und aus zu gehen; sie nickte nur beifällig, als eines der Mädchen ihr eilfertig die Tür zum Hof aufhielt, und winkte ihren Begleitern, ihr zu folgen.
»Das ging schnell«, sagte Ardeija, der – eine Schüssel Buchweizengrütze auf dem Schoß und eng an die Wand gelehnt, aber ansonsten von dem immer stärker werdenden Regen unbeeindruckt – gleich zur Linken unter dem Dachüberhang saß. »Entschuldigt, dass ich hiermit noch nicht fertig bin. Möchte jemand etwas abhaben?« Er sah zu Wulfila hoch. »Du? Du siehst verdammt hungrig aus.«
Wulfila schüttelte den Kopf und mochte doch nicht recht eingestehen, dass sein unverwandter Blick auf die Schale weniger einem bislang unzureichenden Frühstück als seiner Erleichterung angesichts dessen geschuldet war, dass außer Ardeija noch jemand heil nach Aquae zurückgekehrt zu sein schien. »Nein. Aber vielleicht solltest du deinen Drachen aus der Schüssel nehmen?«
»Heute darf er darin sitzen, wenn er sich wohlfühlt; er hat es sich redlich verdient.«
Die Schüssel wurde samt Gjuki schwungvoll auf dem Boden abgestellt und im nächsten Augenblick fühlte Wulfila sich fest, genau genommen zu fest, umarmt. »Gott sei Dank!«
»Passt mit seinem Rücken auf, den hat Gott weniger gut beschützt«, sagte Herrad, um mit einer wenig frommen Kopfbewegung gen Himmel fortzufahren: »Und wir sollten nicht hier draußen reden, sonst holen wir uns alle miteinander den Tod. Weshalb sitzt Ihr bei diesem Wetter überhaupt im Freien?«
Ardeija rieb sich die Nase. »Ich wurde hinten hinausgeworfen und die beiden dummen Gänse hier vorn haben zu viele Fragen gestellt. Hoffentlich sind sie jetzt still. Ins Haus können wir nämlich nicht. Meine Mutter möchte allein mit meinem Vater sprechen.«
Bisher hatte Wulfila sich unbefangen gefreut, dass Ardeija weit besser aussah als noch in Asgrims Kerker, doch nun fragte er sich fast, ob die Verletzungen körperlicher Natur die schlimmsten Schäden waren, die sein Freund dort unten davongetragen hatte. »Mit deinem Vater?«
Herrad erklärte sich die Sache ganz anders. »Mit Eurem Vater?«, wiederholte auch sie. »Ist das eine Art Totenbeschwörung?«
Wulfin sah von der Grütze auf, von der er, Drache in der Mitte oder nicht, heimlich einen Löffel genommen hatte, und beäugte das Haus, als hoffe er, die Barsakhanenhexe bei der Ausführung eines finsteren Rituals erspähen zu können. Doch alles blieb langweilig ruhig; noch nicht einmal Zaubergesänge aus fernen Landen waren zu hören.
Ardeija lachte. »Nicht Valerian. Der hat, seit er gestorben ist, nichts weiter von sich hören lassen. Es scheint, als wäre ein anderer schuld an mir … Meine Mutter hat das bestätigt und nun reden sie.«
Er sprach leichthin, als wäre eine solche Eröffnung nichts weiter Ungewöhnliches, doch seine Heiterkeit drang nicht bis zu seinen Augen vor.
Herrad schien sich nicht mit dieser knappen Erklärung zufriedengeben zu wollen, die mehr Fragen aufwarf, als sie beantwortete. »Ich sehe schon, es gibt viel zu erzählen. Doch nicht hier draußen; das hatten wir doch geklärt?«
Damit sammelte sie, ohne auf Zustimmung zu ihrer Entscheidung zu warten, die Schüssel auf und kehrte in
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