Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Berg. Auf dem Bürgersteig der Kopenhagener Straße wimmelte es bereits vor Kameras, Stativen und Kabeln. An ein Durchkommen war kaum zu denken. Vermutlich wäre der Reportertross längst in Annas Wohnung vorgerückt, hätte ein Polizeiaufgebot ihn nicht daran gehindert, sodass der Großteil der Journalisten auf dem Bürgersteig vor dem Haus in der Kälte ausharrte, während sich ihre Kollegen in den benachbarten Cafés und Kneipen aufwärmten.
Mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu betrachtete Anna die Menschenmenge vor ihrem Haus. »Da müht man sich jahrelang ab, um Journalisten für tolle Kampagnen zu begeistern, und dann …«
»Was redest du da?« Nina schaute sie entsetzt an.
Nur mit Verzögerung wurde Anna bewusst, was sie da gerade von sich gegeben hatte.
Aber ist das ein Wunder?
In den zurückliegenden Stunden, in der hektischen Betriebsamkeit der Agentur, hatte sich Manuel, ihr Sohn, zu einem Produkt gewandelt, das Anna nach bestem Vermögen in die Presse bringen wollte. Beschämt schüttelte sie den Kopf. »Vergiss bitte, was ich gesagt habe. Das war ein dummer Gedanke. Das war nicht ich.«
Plötzlich sahen sie, wie Alan aus dem Haus zu ihnen herübereilte. Kriminalhauptkommissar Veckenstedt und ein Trupp uniformierter Beamter bemühten sich, mit ihm Schritt zu halten. Damit wurden nun auch die Reporter auf Anna aufmerksam. Innerhalb von Sekunden richteten sich Objektive auf ihren Wagen, Scheinwerfer blitzten auf, und die Journalistenschar wogte ihnen wie eine mächtige Welle entgegen. Die Streifenpolizisten formierten sich zur schützenden Kaimauer.
Als Alan die Autotür öffnete, drängte Veckenstedt ihn beiseite und beugte sich mit hochrotem Kopf zu Anna hinunter. »Sie hätten uns darüber informieren sollen, was Sie unternehmen!«
»Was unternehme ich denn Schlimmes?« Sein Vorwurf empörte Anna. »Ich suche nur nach meinem Sohn.«
»Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Aber … wir sollten uns abstimmen.«
»Schön«, stellte Anna fest. »Dann tun wir das hiermit.«
Veckenstedt stöhnte resigniert. »Wir haben währenddessen die Suche intensiviert. Auf Anweisung vom Polizeipräsidenten wurde die Soko noch einmal um achtzig Beamte der Bereitschaftspolizei aufgestockt. Eine ganze Hundestaffel ist im Einsatz, außerdem ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera.«
»Wäre dies auch geschehen, wenn ich die Presse nicht eingebunden hätte?«
»Natürlich!« Veckenstedts Protest erschien Anna eine Spur zu vehement. »Außerdem werden wir Ihnen einige Beamte vor das Haus stellen. Die Presse wird ziemlich hartnäckig sein.«
»Das ist mir lieber als Untätigkeit.« Sie war sich nicht sicher, wen sie mit ihren Worten treffen wollte. Den Polizisten? Oder sich selbst? Egal, sie für ihren Teil würde von nun an nicht länger tatenlos zusehen, sondern kämpfen, für Manuel. Sie umschloss Alans Hand, holte noch einmal tief Luft, tankte Kraft. Dann trat sie vor die Kameras.
83
Wie ein Wirbelwind raste Leonie auf Sackowitz zu. Sie stürzte sich in seine Arme und lachte vor Vergnügen. Als er seine Tochter absetzte, fragte sie ihn mit herzallerliebstem Augenaufschlag: »Papa, kommst du spielen?«
Seit Weihnachten nannte sie ein neues, großes Puppenhaus ihr Eigen – ein Geschenk von Onkel Wolfgang. Karins Bruder hatte sich nicht lumpen lassen: Das Holzhaus nahm fast ein Viertel von Leonies Zimmer in Anspruch. Sackowitz’ Geschenk, ein Satz Playmobilfiguren auf Pferden, nahm sich dagegen eher winzig aus, aber immerhin hatten die Figuren mitsamt Pferden bereits Einzug in das Puppenhaus gehalten – neben Hardy, der Papa-Puppe, in deren Rolle Sackowitz für gewöhnlich schlüpfte, wenn er seine Tochter besuchte.
»Du solltest doch erst morgen auf Leonie aufpassen«, sagte Karin erstaunt, als sie in der Tür erschien. Ihre Hoteluniform hatte sie gegen ein schlichtes Hauskleid eingetauscht, unter dem grün-gelb gestreifte Strumpfhosen hervorschauten.
»Ich weiß.« Sackowitz wurde von Leonie in die Wohnung geschleift. »Darf ich trotzdem kurz reinkommen?«
Mit skeptischem Blick betrachtete Karin sein zerkratztes Gesicht. »Du bist ja schon drin.«
Auf dem Herd brutzelten in einer Pfanne Bratkartoffeln mit Speck. Till hockte mit einem aufgeschlagenen Buch neben dem Teller am Tisch. Den Bildern nach schmökerte er in einem Fachbuch über Dressurreiten. Während er sich eine mit Kartoffeln beladene Gabel in den Mund schaufelte, nuschelte er: »Hey, Hardy, was ist denn mit dir
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