Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Ausschalten nicht fand, steigerte ihre Rage nur noch mehr. »Manuel, du bist wirklich schrecklich. Du weißt doch ganz genau, dass ich morgens wenig Zeit habe.«
Zurück in der Küche, empfing sie ein leises Wimmern. Manuels Kopf lag auf dem Frühstückstisch, sein kleiner Körper zitterte. Reumütig kniete Anna sich neben ihn und streichelte sein braunes Haar. »Mein Schatz, was hast du denn?«
Manuel schluchzte weiter, sagte aber keinen Ton. Anna überwältigte das schlechte Gewissen.
»Aber das war doch nicht so gemeint.«
»Bin ich wirklich so schrecklich?« Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Aber natürlich nicht.«
Sein rundes, weiches Gesicht ließ ihn klein, empfindsam und verletzlich erscheinen – was er im Grunde auch noch war. Der Anblick brach Anna als Mutter das Herz. Sie hatte Schuld an seinem Zustand.
»Es ist nur … Weißt du …« Sie widerstand dem Impuls, selbst in Tränen auszubrechen. Schließlich hätte das auch nichts an ihrer Situation geändert. Wenn sie weinte, half das ihrem Sohn nicht weiter.
Wenn ich nur eine Idee hätte
,
was ich tun kann?
»Ich weiß im Augenblick einfach nicht, wo mir der Kopf steht. Meine Agentur, die Sache mit Alan, alles ist gerade so … schwierig. Das verstehst du doch?«
Er nickte, obwohl er natürlich nichts davon verstand. Er war ja noch ein Kind. Ein trauriges, verzweifeltes Kind. Seine Zustimmung rührte Anna fast noch mehr als seine Tränen. Sie verpasste ihm einen aufmunternden Stups. »Also, wie wär’s? Bevor ich zur Arbeit fahre, bring ich dich noch zur Schule. Würde dir das gefallen?« Es kam ihr vor, als würde sie mit dem Vorschlag nur ihr schlechtes Gewissen beruhigen.
Manuels Miene hellte sich schlagartig auf. »Ja.«
Gewöhnlich legte er den Weg alleine zurück, denn die Grundschule lag nur fünf Straßen weit entfernt. Meistens fehlte Anna die Zeit, ihn zu begleiten. Normalerweise war sie schon längst selber in Eile und auf dem Weg zur Arbeit.
Sie erhob sich und stolperte über Manuels Rucksack. »Scheiße!«, rutschte es ihr heraus.
»Scheiße stinkt«, sagte er.
»Was ist denn das für ein Spruch?«
Manuel zuckte zusammen. »Weiß nicht. Habe ich irgendwo gehört.«
Naserümpfend zog sie den Blazer an, verkniff sich jedoch eine Bemerkung. »Willst du nach der Schule wieder mit zu Peter gehen?«
»Nein.«
»Oder zu Philip?«
»Nein.«
»Aber die sind doch noch deine Freunde, oder?«
»Ja.« Es klang nicht überzeugend.
»Habt ihr euch letzte Woche gestritten?«
»Nein.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt.« Sie rückte den Anstecker gerade, der an Manuels Shirt festgemacht war. Er zeigte die komplette Simpsons-Familie: Marge, Homer, Lisa, Bart und Maggie. Auf dem Shirt, das Alan, ihr Mann – obwohl die Bezeichnung Exmann es wohl besser traf –, ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, war in großen Buchstaben aufgestickt:
Spider-Schwein.
Darüber grinste ein großes gelbes Bart-Gesicht
.
Es war lange her, dass Anna ihren Sohn ähnlich ausgelassen lachend erlebt hatte. Ein gerahmtes Foto von ihm an der Wand zeugte jedoch davon, dass es solche Augenblicke durchaus gegeben hatte.
Sie streifte ihm die Jacke über und wickelte den Schal um seinen Hals. »Also magst du heute nicht zu Peter oder Philip gehen?«
»Nein, will nicht.«
Sie ahnte die Gründe dafür, wollte sie aber nicht zur Sprache bringen.
Nicht
schon wieder.
»Na gut, aber dann kommst du nach der Schule schnurstracks heim. Ich möchte nicht, dass du dich alleine auf der Straße herumtreibst.«
»Zu Hause bin ich doch auch alleine.«
»Junger Mann, hast du verstanden, was ich gesagt habe?«
Er nickte.
»Außerdem bist du heute nicht alleine. Nane kommt.« Was Anna daran erinnerte, dass sie der Haushälterin noch den Lohn für den letzten Monat schuldete. Sie zögerte, als sie die drei Scheine aus ihrem Portemonnaie nahm. Wenn sie ehrlich mit sich selbst war, konnte sie sich solchen Luxus nicht mehr leisten. Die Miete für die Wohnung im Prenzlauer Berg war teuer genug. Aber Zeit für den Wohnungsputz hatte Anna auch nicht, und obendrein kochte Nane für Manuel das Abendessen und half ihm bei den Hausaufgaben. Anna bedauerte es, ihren Sohn nicht zu seinen Großeltern geben zu können.
Aber das ist ein Thema für sich.
Und es hatte sie schon viel zu viele Nerven gekostet. »Aber am Wochenende bist du dann bei Alan, so wie letztes Wochenende, ja?«
Manuel schwieg.
»Magst du nicht zu Alan?«
»Doch.« Er klang nicht so, als würde er
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