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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Möglichkeit in Betracht ziehen, daß du sie umgebracht hast, rein hypothetisch.«
    »Du spinnst!«
    Der Nebel ist dichter geworden, umhüllt die beiden Männer auf der Kaimauer wie ein undurchsichtiger Schleier. Nässe und Kälte dringen durch ihre Kleider.
    »Meine Prostata wird sich schön bedanken, wenn ich hier noch länger hockenbleibe«, jammert Giorgio.
    »Sei nicht so verdammt hypochondrisch! Laß uns noch mal alles miteinander durchgehen. Nehmen wir an, ich war es nicht. Wer kann es sonst gewesen sein, und warum? Nur wir beide haben ein Motiv gehabt, wie man so schön sagt.«
    »Hör endlich auf.«
    »Ihr habt euch in jener Mittagspause, wie immer, hier im Hotel getroffen. Doch dieses Mal war es nicht wie immer. Vielleicht hat sie zuerst mit dir geschlafen und es dir erst nachher gesagt – das hätte ihr ähnlich gesehen. Du bist geschockt gewesen, hast nichts von ihren Heiratsplänen wissen wollen. Vielleicht hast du auch gleich mit ihr Schluß gemacht. Doch wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat ...«
    »Reine Hirngespinste!«
    »Du warst immer schon sehr jähzornig, hast einfach zugeschlagen. Schau, die Narbe sieht man bis heute.« Enrico deutet auf die kleine, weiße Furche unter seiner rechten Braue.
    »Du darfst gerade reden. Ich weiß wirklich nicht, wer von uns beiden der Jähzornigere war. Den armen Livio hast du damals halbtot gedroschen, nur weil er es gewagt hat, eine anzügliche Bemerkung über Ginas breites Becken zu machen. Ich habe mich geändert. Es stimmt schon, früher habe auch ich leicht die Beherrschung verloren, aber umgebracht habe ich noch niemanden.«
    »Du hast nicht nur Gina auf dem Gewissen, sondern auch meinen Alten ...«
    »Das mit deinem Papa tut mir echt leid, er war wie ein zweiter Vater für mich. Erinnerst du dich noch, wie er uns zum Fischen mitgenommen hat? Seine Kollegen hätten nie erlaubt, daß Kinder mit hinausfuhren. Wir haben uns unten im Container verstecken müssen, und ich habe mich in diesem schwarzen Loch fast angemacht vor Angst. Den Gestank werde ich wohl auch nie vergessen, mir dreht sich heute noch der Magen um, wenn ich daran denke.«
    »Und deshalb hast du dich so rührend um ihn gekümmert, während ich im Knast gesessen bin? Er war schon eine Woche hinüber, als man ihn gefunden hat. Der Geruch hat die Nachbarn alarmiert. Diese Schweine haben sich auch einen Dreck um ihn geschert ...«
    »Leider habe ich nicht zum Begräbnis gehen können, hab dringend geschäftlich nach Turin fahren müssen, aber ich habe einen schönen, großen Kranz geschickt.«
    »Im Ausreden erfinden warst du schon immer große Klasse.«
    »Wenn jemand Schuld an seinem Tod trägt, dann du, du ganz allein. Was diese verdammten Zigaretten nicht geschafft haben, hast du im Handumdrehen erledigt. Du warst kaum im Knast, ist er schon krepiert.«
    Leise und mit ganz ruhiger Stimme widerspricht Enrico: »Er ist nicht aus Kummer oder Gram gestorben. Nach der Urteilsverkündung hat er schweigend den Gerichtssaal verlassen, stolz und ungebrochen. Er hat gewußt, daß ich unschuldig bin. Zwar hat er mir nie geschrieben und mich auch nie im Gefängnis besucht, aber ich habe ihm das nicht übelgenommen, er war zu schlecht beisammen. Er hat mir nicht einmal Geld schicken können, seine kleine Pension hat gerade für die Miete und das Lebensnotwendigste gereicht. Angeblich hat er bis zum Schluß täglich seine drei Schachteln MS geraucht, obwohl er gewußt hat, daß er zum Tod verurteilt ist, oder vielleicht gerade deswegen. Ich habe ihm auch nicht geschrieben. Was hätte ich ihm schreiben sollen? Außerdem hat er kaum lesen können. Er ist gestorben, weil er arm war und die Spezialisten nicht bezahlen hat können. Ich habe von seinem Tod erst erfahren, nachdem man ihn längst verscharrt hatte.«
    »Es tut mir ehrlich leid, Enrico, ich habe damals einfach nichts machen können, habe große Probleme mit meinem Job gehabt, deshalb habe ich dich auch nicht besucht. Ein Fehler, das sehe ich heute ein. Vielleicht wärst du weniger verbittert, wenn du mit jemandem hättest reden können ...«
    Enrico lacht gereizt. »Erspare mir deine Entschuldigungen. Ich behaupte ja nicht, daß du meinen Alten ins Jenseits befördert hast, und vielleicht wolltest du auch Gina nicht umbringen, vielleicht war es ein Unfall oder Totschlag. Du hast ihr Gekeife nicht mehr ertragen, sie hat dich bis zur Weißglut gereizt, dich vielleicht sogar verspottet, deine männliche Eitelkeit verletzt. Du hast dich ja

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