Trigger - Dorn, W: Trigger
Ellens Apartment weiterhin zu mieten. Es war zweckmäßig, da die beiden unter der Woche die Fahrtkosten für die Strecke von ihrem Haus auf der Schwäbischen Alb bis nach Fahlenberg sparten.
Bei jeder dieser Entscheidungen hatte Ellen eine ganze
Weile gezögert. Nicht etwa, weil sie daran gezweifelt hätte, dass es mit ihnen beiden etwas Ernstes war, sondern weil ein gemeinsames Leben in diesem Apartment mit der kleinen Küche, dem kaum größeren Schlafbereich und einem einigermaßen geräumigen Wohnzimmer eine Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit darstellte.
Seit dem Internat hatte sie mit niemandem mehr in einem Raum geschlafen, zumindest nicht jede Nacht, hatte mit niemandem mehr das Bad oder die Toilette geteilt. Selbst während ihres Studiums hatte sie alles dafür getan, um sich ein möbliertes Zimmer mit Nasszelle leisten zu können. Sie war deshalb in den Abendstunden kellnern gegangen und hatte jeden Samstag in aller Herrgottsfrühe und bei jeder Witterung Obst- und Gemüsekisten für einen Wochenmarkthändler geschleppt – nur um nicht wie einst mit mehreren anderen in einem Raum nächtigen zu müssen.
Freiheit war für Ellen ein Gut, das sie sich hart und teuer erkämpft hatte, nicht selten im wortwörtlichen Schweiße ihres Angesichts. Dies wurde ihr nun wieder bewusst, während sie unter der Dusche stand und das wohltuende warme Wasser auf ihrem schmerzenden Körper spürte. Sie ließ sich mit dem Duschen Zeit und versuchte dabei, ihre Gedanken zu ordnen. Immer wieder spürte sie den Drang einfach loszuheulen, bis sie ihm schließlich nachgab.
Als sie aus der Dusche trat, fühlte sie sich besser – nicht viel, aber ein wenig. Das Weinen hatte ihr gutgetan, hatte sie in gewissem Sinne befreit.
Während sie mit einem Handtuch das Kondenswasser vom Spiegel wischte, dachte sie an Chris. Sie war einerseits traurig, dass er nicht bei ihr war, andererseits auch wieder
froh, dass er fort war. Wäre er jetzt hier gewesen, hätte sie sich wahrscheinlich nicht so gehen lassen, sondern der Kämpferin den Vortritt gegeben.
Wenn du Schwäche zeigst, fressen dich die anderen, war eine alte Internatsweisheit, die sich zu tief in ihr verwurzelt hatte, als dass sie sich hätte darüber erheben können. Das machte die Beziehung zu Chris nicht immer leicht, aber sie hoffte, dass sich dies eines Tages, wenn sie nur lange genug zusammen waren, ändern würde.
Dann würde auch der Tag kommen, an dem sie in der Lage war, sich fallen zu lassen und die Selbstbeherrschung zu vergessen. Anfänglich vielleicht nur für einen kurzen Moment, aber sie war bereit, daran zu arbeiten, und Chris hatte Geduld …
Was sie im Spiegel sah, erschreckte sie. Sie hatte zwar nicht erwartet, eine vor Vitalität sprühende Ellen mit ihrem schlanken und vom vielen Sport durchtrainierten Körper zu sehen, aber die blauen Flecken auf Brust und Armen waren nach so kurzer Zeit schon ziemlich ausgeprägt. Kein gutes Zeichen. Wie würden die erst am nächsten Tag aussehen! Vor allem der Fleck auf der Brust. Er sah aus wie aus einem Rorschachtest, bei dem man Assoziationen nennen sollte, die einem zu bestimmten Tintenklecksmustern in den Sinn kamen. Das blutunterlaufene Muster auf ihrer Brust hätte man vermutlich als Adler mit gespreizten Flügeln oder etwas in dieser Art interpretieren können. Es sah übel aus.
Was für ein Glück, dass ich im Hinterkopf keine Augen habe, dachte sie, während sie die Flecken mit einer Salbe gegen Prellungen einrieb, die sie zusammen mit etlichen anderen Medikamenten, die man benötigte, wenn man
viel lief und gelegentlich eben auch stürzte, in ihrem Spiegelkasten aufbewahrte.
Ich will gar nicht erst wissen, wie mein Rücken aussieht. Dieses Arschloch war verdammt schwer und hatte verteufelt spitze Knie.
Andererseits, entgegnete ihr Verstand, würdest du jetzt sicher wissen, ob das Arschloch mit den spitzen Knien tatsächlich Mark gewesen ist, wenn du Augen im Hinterkopf gehabt hättest. Es könnte doch nur ein Zufall gewesen sein, dass er gerade auf dem Parkplatz gewesen ist, oder? Immerhin hast du ihn noch nie in so einer Kapuzenjacke gesehen, wo er doch nicht mal im tiefsten Winter eine Kappe oder Mütze trägt.
»Natürlich«, höhnte Ellen, wobei sie diesmal laut sprach. »Es war bestimmt nur ein Zufall, dass der kettenrauchende Herr Unsportlich auf dem Parkplatz am Jogging-Pfad herumlungert, wo er sich sonst nie blicken lässt. Und es war bestimmt auch nur ein Zufall, dass er ausgerechnet
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