Trilogie des Tötens - X-Mas Edition - 3 Thriller (German Edition)
Zimmern, die Frauen beten zu ihren Schutzheiligen und auch uns Kindern und Jugendlichen ist nicht nach Spielen oder Freizeitgestaltung zu Mute. Obwohl die Zeitung nur noch sporadisch ausgeliefert wird, kennen wir natürlich die Neuigkeiten, wissen, dass brutale Banden sich das allgemeine Chaos zu Nutze machen, um die Dörfer auszuplündern. Es ist nur eine Frage von Tagen, bis auch unser Ort dem Erdboden gleichgemacht wird.
In jenen Tagen allerdings ist uns das tatsächliche Ausmaß des Schreckens nicht bewusst. Wir bilden uns ein, wenn wir in unseren Häusern bleiben und das Leben zum Stillstand bringen, uns tot stellen, werden wir überleben. Wie die kleinen Kinder glauben wir, wenn wir die Augen fest schließen, sieht uns auch der Feind nicht. Wenn wir den Atem anhalten, kann er uns weder riechen noch spüren. Wenn wir zu lebenden Toten erstarren, nimmt er unsere Existenz nicht wahr.
Natürlich denke ich genauso, bilde mir ein, wenn ich lange genug schweigend in der Küche sitze, dann kann ich bald wieder auf das Gymnasium gehen. Dort in den vorsintflutlichen Klassenräumen werde ich mich mit sinnlosem Wissen vollstopfen mit dem einzigen Ziel, irgendwann wegzukommen aus diesem elenden Dorf und eine Zukunft zu haben.
Die Frauen lösen sich aus der Erstarrung und treffen sich auf dem steilen Dorfplatz. Alle haben sie große, unförmige Bündel in den Armen. Es hat den Anschein, als wollten sie flüchten. Endlich das verdammte Dorf verlassen und sich in den Bergen verstecken. Aber die Frauen unseres Dorfes denken nicht an Flucht. Im Gegenteil, sie denken bereits wieder an die Zukunft, sie denken an eine Rückkehr, an ein Morgen, das es für sie aber nie mehr geben wird.
In den Lumpenbündeln, die sie fest umschlingen, haben sie ihr Royal-Geschirr verpackt, ihre Töpfe, Pfannen und Teetassen, für die sie ein Leben lang gespart haben. Das Einzige, woran die Frauen aus unserem Dorf denken, ist, ihr Royal-Geschirr wie einen Schatz in den karstigen Hügeln des Hinterlandes zu verbergen und später wieder hervorzuholen.
Auch Mutter hat ihr Royal-Geschirr sorgfältig mit alten Zeitungen ausgestopft, mit Tüchern, Schals und Fetzen umwickelt, damit der glänzende Stahl keine Kratzer bekommt. Immer wieder wischt sie mit dem notdürftig geflickten Ärmel ihres Kleides über das goldene Royal-Wappen auf dem Deckel, so als würde sie das Geschirr für ein Festmahl hervorholen und den beeindruckten Gästen präsentieren.
Mit schweren Schritten schlurft sie aus der Küche, um noch mehr Lumpen zu holen, Vater hat den Kopf auf die Tischplatte gelegt, versteckt ihn zwischen seinen verschränkten Armen, will, dass die Zeit stillsteht. Meine beiden Schwestern hocken am Boden, schmutzig, verheult, verrotzt und wissen jetzt, was Angst ist.
Diesen Moment nutze ich und nehme blitzschnell einen Royal-Deckel aus einem der bereits fertig verpackten Bündel, verstecke ihn hastig unter meinem löchrigen Pullover. Das geschieht automatisch und doch ist es Schicksal, denn es ist genau jener Deckel, an dem sich Mutter geschnitten hat. Vielleicht habe ich mir das alles auch nur eingebildet, denn gleich sitze ich wieder regungslos auf dem zerschlissenen Sofa beim Fenster, um alles weiter zu beobachten.
In einer bizarren Prozession wie Klageweiber oder zerfledderte schwarze Krähen pilgern die Frauen die Geröllhänge hinauf, immer wieder stürzt eine dieser entkräfteten Weiber, kollert in einer Staubwolke einige Meter nach unten, um dann den Aufstieg von Neuem zu beginnen. Auf allen Vieren kriechen sie weiter, krallen sich mit blutigen Händen an den Steinen fest, um nicht sofort in den Himmel aufzusteigen. Die schmutzigen Lumpenbündel mit ihren Kostbarkeiten, ihrer Royal-Aussteuer,
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