Trinity (German Edition)
Knie den Dienst. Ein Stück entfernt konnte sie Hufschläge hören, die sich auf die Stallungen zubewegten. Die Schneedecke vor ihr zeigte keinen anderen Weg.
Irgendwo unter ihr musste Oppenheimer inzwischen die Parkhüter ausfindig gemacht haben. Sie machten Jagd auf sie. Das Echo des Schusses hatte zwischen den engen Felswänden laut gehallt – ob Oppie die Richtung hatte feststellen können, aus der er gekommen war? Würden die Parkhüter auf die Idee kommen, in den Ruinen in der Klippenwand nachzusehen?
Wenn ja, dann würden sie die Stelle finden, wo sie sich in den Hinterhalt gelegt hatte. Wo ihre Mission gescheitert war. Aber Elizabeth war keine Mörderin, ganz gleich, wie sehr sie auch die Tat vor sich rechtfertigen konnte. Solche Dinge waren nicht mit logischen Erwägungen zu entscheiden. Selbst ihre aus dem Gefühl kommende Entscheidung, als sie neben Jeffs Grab gesessen hatte, hatte nicht ausgereicht, um sie die moralische Mauer überwinden zu lassen, die sie sich selbst aufgebaut hatte.
Sie hatte Oppenheimers Kopf vor sich im Visier gehabt. Sie hatte vorgehabt, den Abzug zu betätigen und sein Gehirn über den Schnee zu verspritzen. Sie hatte gedacht, über den großen Sieg, den sie errungen hatte, Genugtuung empfinden zu können.
Sie hatte versucht, einen Mord zu begehen. Jetzt bin ich der Tod geworden …
Die Parkhüter von Los Alamos würden ihre Fußstapfen auf dem Weg zum Canyonrand hinauf finden. Es war ein klarer Tag mit blauem Himmel; es würde eine ganze Weile dauern, bis frischer Schnee ihre Spuren zudeckte. Sie musste zurück zu dem Chaos und den vielen Spuren an der Versuchsstätte. Sie musste sich verstecken, musste nachdenken, sich aus diesem Schock und aus dieser Selbstverachtung herausreißen.
Sie vermied es, ins Freie zu treten, bahnte sich den Weg durch die niedrigen Wacholderbüsche, schritt unter den hohen Ponderosafichten dahin. Schmelzender Schnee tropfte von den Ästen, aber alles andere blieb stumm. Sie hörte keinen Laut von ihren Verfolgern, keine Pferde, keine bellenden Hunde, keine Schüsse.
Ob sie die Parkhüter abgeschüttelt hatte? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie so geschickt war. Aber was war, wenn Oppenheimer den Zwischenfall überhaupt nicht gemeldet hatte?
Sie blieb unter einem Baum stehen, während die Sonne im Westen über den Sangre-de-Cristo-Bergen hing und sie in orangegelbes Licht tauchte, nicht ganz so rot wie das Blut Christi, nach dem man sie benannt hatte. Sie überlegte, was Oppenheimer an jenem Morgen gesehen und gehört hatte.
Er war ganz alleine geritten. Ein einzelner Schuss hatte die Stille des Canyons zerrissen, dann nichts mehr. Oppie war auf seinem Pferd geflohen – aber er konnte unmöglich wissen, dass die Kugel für ihn bestimmt gewesen war. Wahrscheinlich war der Schuss hundert Meter an ihm vorbeigegangen, als Elizabeth das Gewehr hatte fallen lassen. Andere Projektmitarbeiter ritten aus, um Bergkaninchen und Hirsche zu jagen – schließlich machte es doch Sinn, am Morgen nach einem frischen Schneefall auf die Jagd zu gehen.
Oppenheimer würde nie auf die Idee kommen, dass jemand versucht hatte, ihn zu töten. Er wirkte so naiv auf sie. Da war es viel leichter, sich irgendeine andere Erklärung zurechtzulegen.
Elizabeth stapfte durch den Schnee, näherte sich dem Rand der Ortschaft. Das änderte überhaupt nichts. Sie hatte versucht, einen Menschen zu töten. Ihr Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken.
Benommen, frierend und durchnässt ging sie in der frühen Abenddämmerung am Frauenwohnheim vorbei. Im Augenblick wollte sie sich weder den Fragen noch der beflissenen Besorgnis Mrs. Canapellis stellen.
In der Kälte ging sie die A Street hinunter. Rings um sie herrschte noch reger Betrieb, aber man konnte spüren, dass der Arbeitstag sich dem Ende zuneigte. Ein Jeep fuhr vorbei und bespritzte sie mit Schlamm, aber der Fahrer drehte sich nicht einmal nach ihr um. Alles war unverändert, niemand verhielt sich ihr gegenüber in irgendeiner Weise anders. Sie fragte sich, ob Oppenheimer nach seinem morgendlichen Ausritt einfach in sein Büro zurückgekehrt war und dort einfach seiner gewohnten Arbeit nachgegangen war.
Aber Elizabeth war nicht fähig, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Der Schrecken über sich selbst, den sie empfand, und ihre Verblüffung hatten ihr Denken wie gelähmt.
Sie fand sich plötzlich vor der Tür des Wohnheims der unverheirateten Wissenschaftler. Sie war mit Graham Fox schon einige Male bis zur
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