Trinken hilft
stolz bin. Nicht ganz fein, nicht ganz fair, denn unter den Mitstreitern befand sich auch eine Schwangere mit einem Siebenmonatsbauch sowie eine Greisin, der bei der Anstrengung das Gebiss aus dem Mund fiel. Trotzdem. Mein Sieg zeigte mir, dass ich bordtauglich war. Natürlich hatte mir dieser Sieg bereits die ersten Feinde eingebracht. Die Mama schnitt mich seitdem und ihr Typ ebenso. Die Greisin war mir egal. Nicht meine Zielgruppe. Außerdem – wer denkt schon an Feinde in diesen friedlichen Gewässern?
Ich vertiefte mich in den Spiegel . Die Erholung konnte beginnen. Sie begann. Für fünf Minuten, wie mir schien. Oder war ich eingeschlafen? Plötzlich leerten sich in atemberaubender Geschwindigkeit alle Liegen ringsum. Hatte ich eine ansteckende Krankheit? Oder das Signal zur Evakuierung überhört? Ich eilte dahin, wo alle hineilten: an die Futtertröge des Okzidents, die Büfetts. Eigentlich war ich noch gar nicht hungrig. Das erste Frühstück hatte mich bereits gezwungen, den Gürtel um ein Loch zu erweitern. Frisch gepresster Direktsaft aus marokkanischen Orangen, französische Croissants, englische Ham and Eggs, tropischer Obstsalat, amerikanische Baked Beans, italienischer Büffelmozzarella auf deutschem Pumpernickel, Schweizer Joghurt mit rechtsdrehender Milchsäure und bioaktiven Verdauungsenzymen und dazu ein Café crème aus besten kenianischen Hochlandbohnen – ja, das Frühstück war noch gar nicht verdaut. Aber wenn alle Futter fassen, kann man sich dem darwinistisch untermauerten Ruf nach Anpassung kaum entziehen.
So ein 5-Sterne-Büfett ist bereits rein optisch ein Kunstwerk und müsste handsigniert in die Museen wandern, für die künftigen Überlebenden der Klimakatastrophe, wenn sie sich von Hungerkoliken gebeutelt mal wieder so richtig satt sehen wollen. Nichts gegen die alten Meister, Breughel und Konsorten, und deren respektvoll restaurierte Stillleben mit Trauben, einem Kanten Brot und gelegentlich sogar einem gepökelten Schinken. Gut gemeint, sicher, aber von einem 5-Sterne-Büfett Welten entfernt. Die Künstler dieser Kreationen, in der Mehrzahl Asiaten unter dem Oberkommando eines Franzosen, standen bescheiden hinter den aufgetischten Delikatessen und lächelten unter ihren weißen Kochhauben geheimnisvoll den Kohorten von Gierschlünden zu, die dieses Kunstwerk in null Komma nix auf ihre Teller schaufelten. Was sie wohl von uns denken mochten? Ich wollte es lieber nicht wissen. Wenn es eine göttliche Gerechtigkeit gibt, dann Gnade uns Raffzähnen! Nichtsdestotrotz – wir waren nun mal hier, nicht in einem buddhistischen Kloster, wir hatten hier eine Aufgabe zu erfüllen. Nämlich Arbeitsplätze zu erhalten. Weit über tausend Mann Besatzung, wer wollte die in die Wüste zurückschicken, nur weil einem gelegentlich ein darwinistisch höchst suspekter Skrupel den Magen hochkriecht? Also ran an die Bouletten!
Der freundliche Opa schwebte bereits – ein Tablett voller Krustentiere durch das Gewoge balancierend – an mir vorbei, zwinkerte mir zu und sagte: »Nun aber dalli, junger Mann, wenn Sie noch ein Salatblatt ergattern wollen. Die Teller sind übrigens auf der Backbordseite.« Ich hätte ihm am liebsten den Stock weggetreten. Aber nein, der alte Herr hatte keinen mehr bei sich. Wahrscheinlich war sein Hinkebein bloß vorgetäuscht, um bei seinen Mitmenschen Rücksichtnahme hervorzukitzeln. Die Zeit drängte. Krustentiere schienen alle schon weggehamstert, Goldbrassen, Schwertfisch und Loup de Mer ebenfalls.
Bis ich mir ein Tablett mit Tellern, Besteck und Getränken zusammengeklaubt hatte und mich als Schlusslicht der Schlange dem Büfett näherte, hatte ich mein erstes Glas Bier bereits runtergekippt. War auch gut so. Bier beruhigt die Nerven. Denn endlich am Ziel lächelte mir das Abräumpersonal entgegen, schüttete die restlichen Pommes auf meinen Teller und ein verwaistes, von den anderen verschmähtes Wiener Schnitzel obendrauf. Das war’s. Pommes und Wiener Schnitzel! Bucht man dafür eine Luxuskreuzfahrt? Das kriegt man auch daheim in der Goldenen Gans. Die Pommes waren knusprig und nicht zu fett, das Schnitzel zart wie von einem Kobe-Kalb, eigentlich hätte ich die Mahlzeit genießen können.
Aber ich genoss sie nicht. Ich war neidisch. Ich wollte das, worum die anderen kämpften, obwohl mir Gräten lästig sind. Eine Strategie für künftige Büfetts war nötig. Ich stellte den Wecker meiner Armbanduhr auf jeweils eine halbe Stunde vor jeder Büfetteröffnung,
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