Trinken hilft
Hüterinnen des Lebens, als Korrektiv zur männlichen Impulsivität gedacht. Hatte es einen evolutionären Quantensprung gegeben, von dem ich nichts mitbekommen hatte in meiner klösterlichen Nische? Lena war anders gewesen. Wieder einmal bedauerte ich, sie verloren zu haben. Bevor ich mich in Grübeleien verlor, wurden meine Sinne vom weiteren Gespräch der beiden Frauen in Beschlag genommen.
»Gab es ein Nachspiel?«, erkundigte sich die Sopranstimme.
»Du meinst Polizei und so weiter? Klar. Das bleibt einem nicht erspart. War aber halb so wild. Ich konnte anhand der Restaurantrechnung beweisen, dass er zu viel getrunken hatte. Dass es ein Unfall war. Der Kellner sagte aus, Albin habe den ganzen Wein allein getrunken und das Restaurant torkelnd verlassen.« Die Altstimme lachte schadenfroh.
»Der Kellner war auf deiner Seite, cool. Auf die Italiener ist Verlass«, kommentierte der Sopran.
»Das kann ich dir unterschreiben. Aber das Stärkste kommt noch«, fuhr die Astro-Schnalle fort. »Die Geliebte des Padrone – ich lernte sie kennen, als ich nach dem Unfall zu einer Stärkung ins Lokal zurückkehrte –, die Geliebte des Padrone hatte eine glänzende Idee. Da der Fidanzato nun schon mal tot sei, meinte sie, sei es doch eine Sünde, wenn ich die Hinterlassenschaft des Verunglückten sausen lassen würde. Rentenansprüche, Lebensversicherung, Sparguthaben … Umso mehr, als der Arme – Friede seiner Seele – es mit den Moneten doch sehr genau genommen habe. Verschwendung sei sicher nicht in seinem Sinne. Wir seien nicht verheiratet gewesen, wandte ich ein. Worauf die Geliebte meinte, das ließe sich auch nachträglich noch korrigieren. In Sizilien kein Problem. Sie habe weit reichende Verbindungen, eine Heiratsurkunde koste vielleicht so viel wie ein Mittelklasse-Fiat. Damit wäre allen geholfen. Am meisten natürlich der trauernden Witwe, flüsterte sie mir verschwörerisch zu. Wenn ich nicht flüssig sei, würde sie mir zu einem Kredit bei der Banca della Santa Trinità raten. Dort habe ihr Bruder Einfluss und könne dafür sorgen, dass die deutschen Behörden keinen Wind davon bekämen.«
»Und? Hast du dich getraut?«, bohrte die Sopranstimme nach.
»Getraut ist gut«, gluckste die Altstimme. »Die Trauung wurde auf den 21. datiert, zwei Tage vor dem Unfall. Die Geliebte und ihr Bruder signierten als Trauzeugen. Zum Glück war mit Albin nur der Autoschlüssel in seiner Lederjacke im Tyrrhenischen Meer versunken. Seine Papiere in der Fototasche sind seitdem in meinem Besitz. Damit war es ein Leichtes, die Dokumente postum auszufertigen. Die 21 ist nun meine Glückszahl.«
»Dann kriegst du also Witwenrente, du Glückspilz. Beneidenswert«, seufzte der Sopran. »Dich hätte ich früher kennenlernen sollen. Dann wäre ich vielleicht auch Witwe.«
»Wieso? Hast du auch …?«
»Ich war in einer ähnlichen Situation wie du. Bloß ohne sizilianische Verbündete. Aber das erzähl ich dir morgen bei einem Drink. Jetzt muss ich hier raus … mein Kreislauf … mir ist schon ganz schummerig.«
Die beiden entfernten sich schwatzend im Dampfnebel, ihre Stimmen verklangen. Auch mir war ganz schummerig. Trotzdem blieb ich noch einige Minuten im Sprudelbecken liegen, zur Sicherheit, um nicht bemerkt zu werden. Dann schlüpfte ich in meinen Bademantel und strebte dem Ausgang zu. Lautlos wie ein Dieb. Dabei war es nicht ich, der etwas zu verbergen hatte. Aber ich fühlte mich so. Ein Mitwisser perfider Machenschaften. Diesen Schnallen war wirklich nicht mehr zu trauen. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Da half nur ein Absacker in bewährter Gesellschaft. Also allein. Unter Menschen wollte ich heute nicht mehr.
Ich orderte beim Kabinensteward eine Flasche Chivas Regal, ließ mich auf der Loggia vor meiner Kabine auf die Liege fallen und saugte die kühle Meeresbrise ein. Die Sterne am Firmament lächelten mir unbeeindruckt vom irdischen Treiben zu. Ein Trinkerratgeber für Astro-Gläubige fehlte noch in meinem Sortiment, fiel mir dabei ein. Etwa: Fischfidel bis sternhagelvoll – Wassermänner lieben Wodka. Ich trank, bis ich einschlief.
FREMDGÄNGER
D as Tuten des Schiffshorns weckte mich am nächsten Morgen. Es füllte die frische Seeluft um mich herum mit seinem durchdringenden Klageton, als wollte es Schlafmützen wie mich rügen: Jetzt aber marsch auf die Beine, Cádiz will erobert werden!
Gequält erhob ich mich von meiner Liege. Die kühle Nachtluft hatte mich stocksteif gefrostet. Verkatert war ich
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