Trips & Träume
Restaurant an das andere. Es war Anfang Oktober und für die Jahreszeit ungewöhnlich mild. Die Terrassen waren gut besucht. Vom Meer her empfing uns ein angenehmer Wind. Zuerst kamen die Anlegestellen für die Yachten und die kleineren Segler. Über einen Steg konnte man sie erreichen.
Dann erkannte ich sie. In der Abendsonne sahen sie aus wie an einer Kette aufgereiht. Eine Flotte von Zweimastern hatte längsseits festgemacht. Es waren an die zehn Schiffe. Sie schaukelten sanft auf dem Wasser. Ich war beeindruckt, so etwas hatte ich noch nie gesehen. Wie auf einer Ansichtskarte.
Plötzlich rannten Karen und Giulia Hand in Hand los.
Die Mother Universe hatte als drittes Schiff im Päckchen angelegt. Es war ein Toppsegelschoner, der seine Seetüchtigkeit bereits seit seinem Stapellauf im Jahr 1913 bewies – wie Tom später berichtete. Als er ihn gekauft hatte, hatte er noch Banjaard geheißen. Das Plattbodenschiff war 38 Meter lang, 5,80 Meter breit, hatte eine Segelfläche von 450 Quadratmetern und einen Tiefgang von 1,05 Meter. Die Passagiere konnten in vier Viererkabinen und drei Zweierkabinen untergebracht werden.
Tom stand an der Reling und winkte Karen zu. Er war ein Hüne, bestimmt eins fünfundneunzig groß. Breite Schultern, Bart und lange braune Haare, die er mit einem Gummi zum Zopf gebunden hatte. Grobe Arbeitshose, klobige Schuhe und ein dickes Holzfällerhemd. Er begrüßte jeden mit dem Händedruck eines Gewichthebers und einer Stimme wie rostiges Blech. Wache Augen blickten mich selbstbewusst an, seine Haut war sonnengegerbt und etwas ledern. Das war er also, der Freak-Kapitän.
»Kommt, ich zeig euch das Schiff. Immerhin wird es euer Zuhause sein für die nächsten Tage.« Er marschierte voraus und führte uns über ein paar Stiegen hinunter ins Innere der Mother Universe.
Ein beleuchteter Gang, so niedrig, dass ich mit den Haarspitzen fast die Decke berührte, tat sich vor uns auf. Tom musste den Kopf einziehen. Er öffnete die erste Tür und knipste das Licht an. Zwei Betten, ein Waschbecken mit Spiegel, ein kleiner Schrank, eingelassen in die Wand.
»Das da gehört mir«, sagte ich und warf meinen Rucksack auf die linke Seite.
Andi stellte seine Tasche auf die gegenüberliegende Koje. Klar, warum nicht? Und schon war die erste Zweierkabine vergeben.
Karen und Giulia nahmen die angrenzende Kabine. Die dritte Zweierkajüte teilten sich Don und Mark. Damit war das mit der Pennerei schon mal geregelt. »Die Toiletten und Duschen sind auf der anderen Seite des Gangs«, sagte Tom. Karen hatte uns geraten, Pullover und Regenjacke einzupacken. Das Wetter auf dem IJsselmeer konnte innerhalb von Minuten umschlagen, hatte sie gesagt. Der Flur führte weiter in den hinteren Teil des Schiffes, dort befanden sich die Viererkabinen. Die waren laut Tom alle vermietet. Er öffnete erneut eine Tür, und plötzlich standen wir in einem hellerleuchteten Raum.
»Das ist das Herz des Schiffes«, sagte Tom.
Mit den Holztischen und Stühlen mutete der Raum wie das Rats an. Wären da nicht die zwei Bullaugen gewesen, die eindeutig signalisierten, wir sind auf einem Schiff. Unter den Bullaugen befanden sich eine Sitzbank und ein langer rechteckiger Tisch. An der Wand hing ein Gemälde, das einen Großsegler auf hoher See darstellte. In einer Nische entdeckte ich eine Stereoanlage. Sound gab es also auch. Von der Decke baumelte eine alte Petroleumlampe, in der eine Glühbirne steckte. Die Sitzbank war vollbesetzt, gut zwölf Leute saßen dicht an dicht an dem langen Tisch und waren gerade beim Futterfassen. Es wurde gelacht und aufgeregt durcheinandergeredet. In der Mitte des Tisches stand ein großer dampfender Topf mit Nudeln und Tomatensoße. Ich verspürte sofort Lust darauf mitzufuttern.
Das also waren Toms Reisegäste. Ich registrierte, dass es unter ihnen auch ein paar Freaks gab. Wie sich bald herausstellen sollte, kamen sie aus dem Rheinland, und keiner von ihnen war älter als dreißig.
Im hinteren Teil des Raumes befand sich die Kombüse. Es gab einen Gasherd, eine Spüle mit Hängeschrank sowie einen Kühlschrank. Eine Frau mit hennaroter Wuschelmähne räumte gerade ein paar Gläser weg.
»Karen, wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen!«, rief Doro erfreut.
Jetzt ging die allgemeine Begrüßungsarie erneut los. Ein Küsschen hier, ein Küsschen da.
Doro war mal mit Karens großem Bruder gegangen, daher kannten sie sich. Sie hatten überhaupt nicht zusammengepasst, wie Karen berichtete. Ihr
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