Trips & Träume
von der deutschen Gruppe Jud’s Gallery abgekupfert. Der Kopf der Band prozessiert seit Jahren, kommt aber nicht wirklich weiter, glaube ich.«
Paul zuckte mit den Schultern. »Wenn, dann könnte nur William die Sache vor Gericht bringen. Außerdem, wir waren mal befreundet. So etwas machen Freunde nicht, gegeneinander prozessieren.«
»Hast du vergessen, wie Mark uns damals abserviert hat? Verhält sich so ein Freund? Damals warst du mächtig sauer auf ihn. Ich bringe dich um, hast du geschrien. Das waren deine Worte«, warf Gero ein.
Paul lachte. »Ja, da war ich aber noch jung und dumm.«
William erschien an unserem Tisch.
»Kannst du mich nach Hause bringen?«, fragte ich. Der Alkohol fuhr Karussell mit mir. Ich schnappte meinen Mantel und verabschiedete mich vom Trio infernal. Als ich an der Theke zahlen wollte, sagte William: »Du bist natürlich eingeladen.«
Zehn Minuten später setzte er mich vor Huguettes Tür ab.
Ich fühlte mich matt. Mit Mila telefonieren, dann Maja ins Auto setzen und zurück nach Frankfurt, das schien mir jetzt angebracht. In der Hoffnung, dass Mila noch nicht abgereist war zu ihrer Tsunami-Reportage.
»Es reicht, das ist schon die fünfte hintereinander«, sagte William.
Ich schnippte die halbgerauchte Kippe aus dem Fenster. »Schon gut, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich bin nervöser als ein Sack Fliegen.«
William nahm die Zigarettenschachtel, die auf der Ablage vor der Windschutzscheibe lag, und riss den Deckel ab Er hatte plötzlich einen Kugelschreiber in der Hand und kritzelte etwas darauf. »Lass uns in Kontakt bleiben. Hier kannst du mich erreichen.«
»Genieß die freien Tage«, sagte er weiter, »unternimm was mit deiner Tochter. Und wenn du wieder zu Hause bist, habe ich dir schon ein kleines Paket geschickt, eine selbstgebrannte CD mit Musik von meiner Band.«
»Ich frage dich noch mal: Wollen wir ihm das durchgehen lassen, mit dem geklauten Tonband, mit dem Hit, der offensichtlich nicht seiner ist?«
»Ich bin schon noch mächtig sauer auf ihn, so ist das nicht. Was soll ich deiner Meinung nach tun?«
»Kennst du nicht einen Musikprofessor, der sich die Noten anschaut und mit Marks Song vergleicht?«
»Du willst also wirklich Rache?«
»Ich will Gewissheit, das ist alles.«
»Gewissheit, das klingt gut. Ich höre mich mal um. Hier, vergiss das nicht.«
William hielt mir die Schachtel mit Karens Tagebuch hin.
Wir gaben uns die Hand zum Abschied. William war mir in den wenigen Stunden, die ich ihn jetzt kannte, ausgesprochen sympathisch geworden.
Nein, ich will keine Rache, dachte ich. Ich will, dass Mark mir in die Augen schaut und es eingesteht. Das war er mir schuldig. Ich blickte William hinterher, bis er um die Ecke gebogen war.
*
Ich saß in der Küche und dachte nach.
Mit Isani sprechen. Acht Jahre hatte ich unter ihm gearbeitet.
Claudio Isani, mein ehemaliger Ressortleiter in der Kulturredaktion, war ein erfahrener Journalist und seit fünfunddreißig Jahren im Geschäft. Er kannte das Metier aus dem Effeff. Wenn jemand einen Rat wusste, dann er.
Isani konnte mit seinem Charme die Welt umarmen. Wenn er die Redaktion betrat, herrschte sofort eine andere Atmosphäre. Er ließ nie den Chef raushängen, wurde nie laut. Er grüßte den Redaktionsboten und die Putzfrau mit »Bon Giorno«, und schon hatten sie das Gefühl, dazu zu gehören. Hatte man ein Wehwehchen, egal ob privater oder beruflicher Natur, bei ihm war man gut aufgehoben. Er hatte stets ein offenes Ohr, konnte Vertrauliches für sich behalten und nutzte sein Wissen nie aus. Hatte er an einem Text etwas auszusetzen, nahm er den Kollegen (hin und wieder auch mich) beiseite. Und immer hatte er Ideen, wie man es noch besser machen konnte.
Nachmittags, wenn es auf die Kaffeezeit zuging und er seine tägliche Buch- oder Theaterkritik sowie die Glosse im Kasten hatte, setzte er sich zu den beiden Sekretärinnen und plauderte. Er philosophierte mit Ihnen über das neueste Buch von John Irving und den aktuellen Kaurismäki-Film, über die Kunst des Einkaufens oder was er seiner Frau, die er »Wölkchen« nannte, zum Geburtstag schenken sollte.
Ihn umgab mit seinen eins fünfundachtzig ein Sean-Connery-Flair, sich mit ihm einzulassen versprach Abenteuer und Aufregung. Er trug italienische Designerklamotten, nichts Auffälliges, eher dezent, dazu die leicht graumelierten Haare – all das verlieh ihm die Aura eines Libertin.
Isani hatte in Rom studiert und in Berlin für RIAS
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