Trips & Träume
spielte sich die Musik im Internet ab, wo Fans weltweit Lieder tauschten und Empfehlungen weitergaben. Wir wären damals aus dem Staunen nicht herausgekommen, wenn wir geahnt hätten, dass es dreißig Jahre später möglich sein würde, auf so viel gute Musik zugreifen zu können. Denn es gab sie noch, richtig gute Musik.
Und dann die Live-Schiene. Die Bands gingen mehr als früher auf Tournee. Okay, das mussten sie tun, weil der Tonträgerabsatz zurückging. Nicht wenige Künstler verkauften ihre Platten von der Bühne herab ans Publikum. Das hatte ich selbst erlebt, als ich im Kölner Prime Club ein Konzert der New Yorker Band Battles besuchte (in der übrigens Tyondai Braxton Gitarre und Keyboard. spielte, dessen Vater Anthony Braxton einer der Lieblingsmusiker von Andi gewesen war). Tja, und MTV war auch schon längst passé. Wenn ich Musikvideos sehen wollte, loggte ich mich bei MySpace ein.
Das alles konnte ich Skip nicht erklären, verlorene Liebesmüh, dachte ich, er würde es nicht verstehen.
Deshalb fragte ich: »Macht ihr noch Musik, Paul, Gero und du?«
Skip grinste. »Wir sind Hobbyrocker. Ich spiele mit Sonny, Moses, Gerd und Gero in einer Band. Paul hat ein Bar-Jazz-Trio.«
Dann erzählte er von seinen Geschäften. Besser gesagt von den Geschäften, die das Trio machte. Sie besaßen einen Instrumentenhandel. Anfang der achtziger Jahre hatten sie klein angefangen. Jetzt, zwanzig Jahre später, unterhielten sie riesige Räume in einem Neubau im Industriegebiet am Stadtrand. Rockland hieß die Firma, sie seien in der Region und darüber hinaus eines der führenden, wenn nicht gar das führende Unternehmen in Sachen Verstärker, Gitarren, Schlagzeug, Keyboards, DJ-Ausrüstung und PA-Verleih, klärte er mich auf. Jahresumsatz mehrere Millionen.
Instrumente, die sich Skip, Gero und Paul früher nicht leisten konnten, all die Marshall-Verstärker und Fender-Gitarren, die der inzwischen verstorbene Köfers Willi nicht hatte besorgen können, gingen bei Rockland wie geschnitten Brot über die Ladentheke.
Skip schmunzelte über seine Formulierung. »Wir haben jedes Jahr auf der Musikmesse in Frankfurt einen Stand. Schau doch beim nächsten Mal vorbei. Vielleicht hast du Lust, was über uns zu schreiben.«
Noch ein Gefälligkeitsartikel ... Ich füllte mein Glas auf.
Paul schaute mich an. »Was ist los? Du brütest doch was aus?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ach, nichts.«
Paul lächelte, in seinen Augen war ein Funkeln, wie in Zeiten des Musikfiebers. »Lass es dir nicht aus der Nase ziehen.«
»Was ist eigentlich aus Billy geworden?«, lenkte ich ab.
»Der macht irgendwas mit IT. Lebt in den USA. Den hat es ins Silicon Valley verschlagen. Warum willst du das wissen?«
Schließlich löste der Alkohol meine Zunge. Ich erzählte ihm von dem Tag, als Andi und ich zu Billy fuhren, den Kunstkopf einpackten, und wie aufregend es war, den Song aufzunehmen. Ich erzählte auch von den Ereignissen auf der Mother Universe. Dass Mark in den Sachen von Karen irgendetwas gesucht hatte. Wie Andi ihn dabei überraschte und Mark eine verpasste. Dass seit diesem Tag das Tonband verschwunden sei. Und nun, mehr als dreißig Jahre später, komme Mark, der erfolgreiche Musikproduzent, mit einem Hit daher, der identisch mit »Karen’s Song« war. Und dass ich vermutete, Mark sei für den Songdiebstahl verantwortlich. Auch von dem Gespräch auf dem Friedhof berichtete ich. Und von meinen Gewissensbissen bezüglich der Frage, ob ich das alles öffentlich machen sollte. Inzwischen war Paul mit dem Stuhl näher herangerückt, auch Gero und Skip hörten aufmerksam zu.
»Du bist dir absolut sicher, dass die beiden Lieder ähnlich sind?«, fragte Gero, der immer noch eine John-Lennon-Brille trug.
»William ist es zuerst aufgefallen. Darum hat er in der Kapelle so einen Aufstand gemacht. Er hat die Noten aus Karens Nachlass«, antwortete ich.
»Dann kann man einen Urheberrechtsprozess aufziehen. Aber so was ist schwierig zu beweisen. Mark braucht nur eine einzige Note geändert zu haben, und schon ist es sein eigenes Stück. Da braucht man einen Experten, jemand, der ein Gutachten erstellt«, sagte Skip.
»Langsam«, protestierte ich. »Soll ich mich genauso arschig verhalten wie Mark? Ich weiß nicht.«
Skip hörte auf, an seinem Bart zu fummeln. »Ich kenne einen Fall, da geht es um den Song »Still Got the Blues« von Gary Moore. Das war Anfang der neunziger Jahre mal ein ganz großer Hit. Den hat Moore angeblich
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