Trips & Träume
wenn man schon mal so ein Talent unter seinen Gästen hat, sollte man das fördern. Aber wie gesagt, umsonst ist der Tod. Und noch nicht einmal der. Denkt darüber nach. Und jetzt bring ich euch ein Bier.«
So so, Andi war also von Marks Getrommel beeindruckt, darüber musste ich Genaueres in Erfahrung bringen.
*
Das Hot Rats war das Sammelbecken für Freaks, Flippies und Musikverrückte. Von denen gab es in unserem Kaff reichlich.
Der Laden war immer voll. Außer montags, da war Ruhetag.
Der Dienstag gehörte den Alt-Hippies. Wir – die Korona – nannten sie so. Zu ihnen gehörten Jule, Hucky und Werner vom Hausboot. Sie waren fünf bis sechs jahre älter als wir und hatten schon gekifft und Trips eingeworfen, als Brian Jones und Janis Joplin noch lebten. Sie fuhren ab auf diesen Westcoast-Sound, auf Gruppen wie Quicksilver Messenger Service, Jefferson Airplane und Grateful Dead. Na ja, ein wenig britischer Rock von Stone the Crows, Family und Traffic durfte es auch sein.
Donnerstag und Freitag waren für die Progressiv-Rocker reserviert. Dann wurden Platten von Gentle Giant, Yes, Genesis, Colosseum, Renaissance, aber auch The Flock und If rauf und runter gespielt. Samstags gab es die obligatorische Rockdisco. Die Tanzfläche, auf der höchstens zwanzig Leute Platz hatten, quoll über. In erster Linie war sie von Jungs bevölkert, die auf Led Zeppelin und Deep Purple die Matte kreisen ließen. Besonders beliebt waren auch, obwohl schon über ein Jahr alt, »All Right Now« von Free und neuerdings »Locomotive Breath« von Jethro Tull.
Immer öfter setzte sich auch eine Runde mit Soul Music durch, Sachen von Curtis Mayfield, Stevie Wonder und James Brown. Das war die Stunde der Mädels. Karen tanzte am liebsten zu Edwin Starrs »War« und »Get Ready«, einem Stück der Temptations in der Version von Rare Earth. Und auf The Doors rockte sie ab. Obwohl das nicht gerade viel mit Soul zu tun hatte. Die Truppe um Jim Morrison war aber ihre absolute Lieblingsband.
Sonntags ging es gemächlicher zu. Kief stieg selbst hinters DJ-Pult und legte Blues auf. Er liebte Muddy Waters und John Lee Hooker, manchmal spielte er was von John Mayall und Alexis Korner. Diese Blues-Songs konnten mich, wenn ich sie allein zu Hause hörte, zum Heulen bringen.
Der Eingang zum Rats lag fast ebenerdig zur Straße. Zwei Stufen, und schon war man durch die Tür. Gleich rechts stand ein Flipper, an der Stirnseite thronte die Theke, flankiert von einer Reihe Barhocker, die fest im Boden verankert waren. An der Theke vorbei ging es zu den Toiletten.
Der Laden war nur spärlich ausgeleuchtet. Kleine Lampen über den Tischen verliehen dem Ganzen die Atmosphäre eines Speakeasy zur Zeit der amerikanischen Prohibition. Illegal und gefährlich. Wo man auch hinblickte, überall war Holz, das dringend einer neuen Lackierung bedurfte. Tische, Bänke und die Vertäfelung der Wand verwiesen deutlich auf ihre Vergangenheit als »Western-Saloon«. Vielleicht hatte das mal gut ausgesehen, als der Laden noch Treffpunkt hieß und die Kinks und Small Faces die Heroen waren. Doch der Glanz jener Jahre war verblasst.
Die Freaks machten sich keine Gedanken darüber, sie liebten es so.
Den Mittwoch hatte vor drei Monaten Andi übernommen. Kurz zuvor war er in die Einzimmerwohnung über dem Rats gezogen und brachte seine eigenen Platten mit. Andi stand auf Virtuosität. Ein Musiker musste sein Instrument beherrschen, besonders Saxophonisten hatten es ihm angetan, wenn sie ihr Horn ordentlich röhren ließen.
Sehr zum Missfallen der Alt-Hippies, die den schrägen Tönen eher skeptisch gegenüberstanden. Außerdem hatte der Mittwoch einst ihnen gehört. Doch Kief ließ Andi gewähren. Zumal seine Anhängerschar immer größer wurde und ordentlich Asbach-Cola wegschlürfte. Es waren Gymnasiasten; einige aus meiner alten Klasse, der Oberprima, gehörten auch dazu.
Zum Beispiel Dixie, der in seiner Makellosigkeit gut als Zwilling von Dorian Gray hätte durchgehen können. Stets trug er einen Angorapulli über den Schultern. Dann war da noch Odi, der die Zigarette zwischen Mittel- und Ringfinger rauchte und nach jedem Inhalieren ein »Aaah« von sich gab. Ständig waren die beiden in Andis Nähe, immer darum bemüht, nichts zu versäumen, wenn ihr Meister eine Eingebung hatte. Andi war für sie die Sonne, um die sie wie Planeten ihre Bahnen zogen.
Ich schob mich an Dixie und Odi vorbei, erklomm das Discjockeypodest und baute mich neben Andi auf. Aus den
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