Tristan
einen Krug Bier.«
Pater Benedictus dankte und setzte sich mit dem Heft an einen Tisch. Aus einer Tasche zog er ein Wachstäfelchen und begann, mit einem eisernen Dorn Zeichen hineinzukratzen und wieder zu löschen. Er bekam sein Getränk, wischte sich nach dem ersten Schluck schmatzend den Mund ab und ließ sich so lange Zeit, bis er das Bier ausgetrunken hatte. Isolde war unruhig geworden und hatte ihn mehrmals ermahnt, sich zu beeilen. Doch das schien den Mönch nicht zu beeindrucken. Schließlich sagte er, er wisse nun, wo dieser Tristan sei, um den sich seine Königin so sorge. »Wo er sein könnte«, fügte er hinzu.
»Und wo er mit aller Gewissheit auch ist«, ergänzte Isolde mürrisch.
»Mit welcher Gewissheit?«, fragte der Mönch.
»Ich weiß, ich spüre es, dass er nicht tot ist.«
»Warum sollte er tot sein?« Benedictus war erstaunt.
»Ach, nichts!« Isolde verstummte für einen Augenblick, dachte an die drei nordischen Söldner, denen sie von Anfang an misstraute und die ihr nicht den geringsten Beweis erbracht hatten, ihren Auftrag auch wirklich ausgeführt zu haben. Es war nur viel Zeit vergangen, unendlich viel Zeit. Und wenn dieser Tristan noch lebte, dann würde er für immer ihren Frieden stören, und das Leben ihres einzigen Kindes war bedroht. Das hatten ihr die Druiden bei den Ewigen Steinen vor Galangaugh im Licht des Vollmonds prophezeit. Darum hatte sich Isolde entschlossen, diesen Tristan töten zu lassen.
Von Weinand, dem Sänger, der ständig zwischen der Insel und dem Festland unterwegs war, hatte sie gehört, es gäbe in Parmenien ein besonderes Kind, das von Geburt an viele Sprachen kenne, und sein Vater, wenn der Marschall von Conoêl wirklich der Vater war, sei auf der Suche nach dem besten aller Lehrer für den Knaben. Da kamen ihr die drei Nordmänner gerade recht. Sie hatte ihnen sogar Gold versprochen, pures Gold. Doch es gab keine Beweise für Tristans Tod, nur dieses Heft mit einem Bericht von diesem Lehrer.
»Also, wo sind die beiden?«
»Sollten wir nicht erst darüber sprechen«, der Mönch räusperte sich, »was Eure Hoheit geneigt ist, mir oder zumindest meiner ecclesia für meine Dienste an compensationes zu bieten?«
»Du willst Münzen?« Isolde schäumte. »Du weißt, dass ich von eurem Geld nichts halte. Es bringt Unglück. Sag mir, was du errechnet hast!«
»Zwei Brakteat oder auch zehn dänische Silberpfennige oder zwanzig Denar wären angemessen.«
»Was du in der Zeit berechnet hast, will ich wissen. Du bekommst ja deine Silberpfennige. Gib mir jetzt Antwort!«
Benedictus zögerte, hob die Schultern und schaute nach, ob im Krug noch ein Rest Bier wäre. Da ging Isolde leise fluchend in den hinteren Teil des Gemachs, holte aus einer geflochtenen Schatulle einen Beutel mit Münzen, zählte daraus zehn dänische Silberlinge ab und warf sie vor dem Mönch auf den Tisch. Benedictus ließ sie so schnell in einer Tasche seiner Soutane verschwinden, als hätte es sie gar nicht gegeben. Er stand auf und sagte: »An einem der nächsten Tage werden sie wohl in Aachen sein, im Heiligen Römischen Reich oder was noch davon übrig geblieben ist in unseren Zeitläuften. Wenn meine Königin weitere Auskünfte über den Verlauf der Reise der beiden Pilger möchte, bin ich Euch stets zu Diensten. Nach Aachen, wo Carolus Magnus gekrönt und zu Grabe getragen wurde, steht Colonia am rhin als weiteres Ziel auf diesen Blättern. Ruft mich, wenn Ihr meine Hilfe braucht. Ich darf mich jetzt empfehlen.« Mit diesen Worten entfernte sich Benedictus und ließ seine Königin Isolde allein.
Sie seufzte, ihr Kopf schmerzte. Aachen, wo sollte das sein? Carolus Magnus - sie hatte von ihm gehört, Barden hatten von diesem mächtigen König berichtet. Doch der musste schon lange tot sein. Und was hatte dieser Knabe damit zu tun, dieser Tristan? Warum hatte man ihn auf eine Reise geschickt zum Sitz der Könige, der Kaiser und des Papstes, den sie so hasste?
»Isôt?«, schrie sie plötzlich. »Isôt, wo bist du? Komm her, mein Kind, komm schnell, ich muss dir etwas erzählen! Es gibt da draußen in der Welt ein Wesen«, rief sie noch immer laut in den Raum, »vor dem musst du dich in Acht nehmen. Ich kenne seinen Namen! Es heißt…«
Spiegelbilder ~ 109 ~ Entgegengesetzte Richtung
»Tristan!«, sagte Courvenal ungeduldig. »Steig auf, wir müssen weiter. Wir haben noch drei Tagesritte, dann sind wir in Aachen. Dort bleiben wir eine Weile, wie ich es dir versprochen habe.
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