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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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der Abtei verschwunden und wie vom Boden verschluckt geblieben war. Da er Angst um das Leben des Jungen hatte, wurden alle Mönche alarmiert, im ganzen Kloster, hinter jedem Regal, in jeder Zelle wurde nach ihm gesucht, die Stadtwachen bekamen Beschreibungen, wie der Junge aussah, und da Courvenal wusste, dass Tristan unbedingt in den Kaiserdom wollte, erreichte es sein Lehrer sogar, dass das Gotteshaus für ihn aufgeschlossen wurde.
    Da stand nun der Mönch in seiner einfachen Kutte in einem Raum voller Säulen aus Marmor und staunte. Er hatte zuvor nur von diesem Wunder der Architektur gehört. Er war an viereckige Räume gewohnt, bei deren Türdurchtritt er sich nicht selten bücken musste, hatte auch schon große Kirchen in Frankreich gesehen mit Säulen, die wie aus der Erde gestampft in den Himmel wuchsen. Aber etwas derartig Festes, das keinen Schlussstein brauchte und dennoch wie eine Burg wirkte, war ihm nie zuvor zu Augen gekommen. Wie eine göttliche Residenz wirkte der Raum auf ihn. Jede Bewegung darin bekam etwas Heiliges, und etwas Heiliges musste auch darin wohnen.
    Mit dieser Überzeugung hatte er den Dom zusammen mit den drei Mönchen wieder verlassen, die jede Ecke absuchten nach dem Knaben, den er schließlich nach einem Hinweis eines Wachsoldaten bei dem Leineweber Eckbert in dessen Hof zusammen mit dem Hund gefunden hatte. Wie froh war er da, wie sehr trachtete er danach, die engen Gassen Aachens hinter sich zu lassen, um mit Ruals Brief und Versicherung, dass sie nicht mehr verfolgt würden, endlich gemeinsam mit Tristan die Welt kennenzulernen!

Sechstes Buch
     
    SIEBEN JAHRE
     
    Kapitel 116-134
     
    Brangaene ~116~ Die Geheimschrift
     
    Brangaene war, wie sie glaubte, um viele Jahre älter als Isoldes Tochter und um einiges jünger als die Königin. Zahlen bedeuteten ihr nichts. Ihr Vater Hägon kannte sich da besser aus. Er spielte oft damit und war einer der Druiden, auf die Königin Isolde hörte. Es hieß sogar, es bestehe unter ihnen eine Verwandtschaft. Deshalb hatte Isolde die junge Brangaene ausgewählt, ihre Dienerin und später auch die Magd ihrer Tochter zu sein.
    Brangaene hatte eine schwere Aufgabe: Die Tochter der Königin musste sie beschützen und heranziehen, wie es die Königin wünschte, und der Königin selbst musste sie dienen, je nachdem wie es die Launen von Isolde erforderten. Kleider mussten gerichtet werden, Speisefolgen besprochen, wenn Gäste empfangen wurden, und die geheimen Stunden sollten eingehalten werden, in denen Isolde Salben anrührte oder Kräuter für heilende oder einschläfernde Tees mischte, Kräuter, die manchmal sogar über offenem Feuer und nicht unter der Sonne getrocknet wurden, was besonders schwierig war. Da musste Brangaene aufpassen, dass die zerstoßenen Pflanzen nicht plötzlich selbst in Flammen aufgingen, die sie erst nach der Einnahme im Körper als Hitze entfachen sollten.
    Zugleich musste diese stille junge Frau immer auch an die kleine Isôt denken, dass sie ihre Lautenstunden einhielt, in der Kräuterkunde unterrichtet wurde und auch lernte, wie man mit bloßen Füßen durch den Wald schlich, ohne sich zu verletzen. Wenn es eine Verletzung gab, musste die richtige Salbe bei der Hand sein oder angerührt werden, während die Königin aus einem anderen Gemach nach ihrer Zofe rief, um ihr einen Auftrag zu geben, der unbedingt zu erledigen war. Denn Brangaene konnte etwas, was sie für ihre Königin zu einer ganz besonderen Vertrauten machte und auch über den Knappen Dorran stellte: Sie konnte »schreiben«.
    Ihr Vater Hägon hatte es ihr beigebracht. Er wusste, wie man schrieb in ihrer kaelischen Sprache, wie er es nannte. Viele Zeichen hatte er dem Sprechen nachempfunden, es gab einzelne Zeichen, die für Laute standen, aber auch solche, die ganze Worte ausdrückten. Von klein auf war Brangaene dabei gewesen, wenn ihr Vater über seine Pergamentblätter gebeugt saß und darauf Zeichen mit seinem Holzstift setzte. Oft geschah dies des Nachts, und weil die Familie gemeinsam unter einem Dach in einem Zimmer schlief, war Brangaene manchmal vom Lager aufgestanden und hatte dem Vater beim Schreiben und Zeichnen zugesehen. Nie würde sie diese Stunden vergessen, wenn er - in ihren Augen mächtig und stark wie kein anderer - da saß, über den Tisch gebeugt, vor sich eine blakende Funzel, und Punkte auf die ebene Fläche des Blattes setzte. Zu seiner kleinen Tochter sagte er, sie solle sich diese Punkte genau ansehen, nahm sie daraufhin an

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