Tristan
sich genauso wenig schneiden ließ wie seine Finger- und Fußnägel, weil er durch diese äußersten Enden des Körpers glaubte, mit den aus den Wolken hervorschießenden Blitzen und Feuern in Verbindung zu stehen, war sichtlich aufgeregt, als er seiner Königin gegenübertrat.
»Ich habe am Firmament einen Stern entdeckt«, sagte er in seinen Bart hinein, »der unserem tüath Verderben bringen wird.«
Isolde nahm diese Worte sofort ernst. Sie schickte Brangaene, die ihr gerade die Füße wusch und es nicht wagte, sich nach ihrem Vater umzublicken, aus dem Gemach. »Was für einen Stern?«, fragte sie. »Er leuchtet rot.«
»Wo ist er?«
Auf diese Frage hin schwieg Hägon eine Weile und ließ sich auf einem Treppenabsatz nieder. Er wusste, dass es vergebliche Mühe war, seiner Königin den Sternenhimmel zu erklären. Sie liebte die Nacht nur, wenn sie durch Feuer oder den vollen Mond erhellt wurde. Feste konnte sie feiern, bei denen hundert Fackeln brannten, das hatte er bisweilen von Ferne miterlebt. Doch wenn er sie einige Male gebeten hatte, mit ihm nach draußen zu treten, vor einem geplanten Angriff auf die ferrenaghs etwa - zwei Sonnenjahre war das her -, um sie zu warnen, da hatte sie ihn auf der Anhöhe von hegh aus ihrem Zelt verwiesen. Und als er sie einmal durch die Nacht begleitet hatte, um von einem tüath zum anderen zu gelangen, warf sie sich gleich ihre Kapuze über den Kopf, um nur nichts davon zu sehen, was über ihrem Scheitel erstrahlte und selbst einen Scheitel bildete - den ihrer Welt.
»Heute«, beschwor er sie in dieser Nacht, »heute müsst Ihr mit mir nach draußen kommen und den roten Stern sehen. Sieben Jahre, so habe ich berechnet, wird er an unserem Himmel stehen. Und wenn wir nichts dagegen tun, wird er uns vernichten.«
»Du mit deinen Sternen!«, sagte Isolde verächtlich. »Hast du nicht gesagt, sie sind zu weit weg und zu fest am Firmament angekettet, als dass sie uns etwas anhaben könnten?«
»Es gibt auch solche, die uns bedrohen.« Hägon ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Das spöttische Gelächter seiner Königin überhörte er. »Ich will aber deine Sterne nicht sehen!«, schrie sie plötzlich auf. »Die Steine sagen dasselbe.«
»Die Steine?« Nun wurde Isolde still. Ein Zittern durchlief sie. »Was sagen die Steine?«
»Sie sagen auch nach fünf Würfen und trotz aller Bannsprüche, die ich dabei ausgerufen habe, dass deine Tochter bedroht ist und sie unser Volk ins Unglück führt, wenn wir nichts dagegen tun.«
»Was für ein Unglück?« Isolde sah den Mann an. Sein Gesicht versteckte er hinter einem wuchernden Bart, der sich um Wangen und Kinn bis auf sein Hemd hinablegte, sodass sein Gesicht nur aus der hervorstehenden Nase mit den weiten Atemlöchern und zwei Augen zu bestehen schien, die sie wie zwei lichtlose Kieselsteine anstarrten.
Hägon merkte sofort, dass sein Blick die Königin verwirrte. Er schlug die Augen nieder, schloss sie sogar, doch hinter den Lidern glimmte noch immer das rote Licht des bedrohlichen Sterns, den er in dieser Nacht entdeckt hatte. Aufgrund seiner Weisheit wusste er, dass das gleiche Licht im selben Moment auch in den Augen der Sternseher Britanniens, norways, des Frankenlands und vielleicht sogar der Mauretanier auf der fernen Halbinsel iberia brannte. Vielleicht blickte in diesem Moment sogar jener Unbekannte, der einst Isôts Verderben und das ihres Volkes herbeiführen würde - denn er war davon überzeugt, dass es dazu käme -, in dieses plötzliche Auftauchen eines Zerstörers.
»Das Unglück ist ein Mann«, sagte Hägon leise.
»Wie heißt er?« Isolde folgte ihrer Art, sprach aus, was sie dachte, und verdünnte dabei ihre barsche Stimme zu einem Zischeln. »Wie sollte ich das wissen?« Der Druide behielt Ruhe. »Den Namen!«, schrie Isolde.
»Er muss ein Königssohn sein.« Mehr konnte Hägon nicht versprechen. »Was ist dagegen einzuwenden? Meine kleine Isôt ist schon jetzt für mich eine Königin!«
Hägon schwieg darauf. Er wusste eine Antwort, aber er vermied es, sie auszusprechen, indem er ausweichend sagte: »Man muss ihn töten!«
»Man muss ihn töten?«, wiederholte Isolde den Satz und dehnte dabei jedes Wort: »Hei wennen maragh dan?«
Ihr Ausruf stand eine Weile wie ein Echo im Raum. Der Druide erhob sich, verbeugte sich, schlich sich davon. Isolde war allein. Eine Weile fühlte sie nur Leere im Kopf. Sie empfand eine Bedrohung, doch das begegnete ihr fast jeden Tag, nie konnte man sicher sein.
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