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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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    Kehrte er nach vieltägigen Aufenthalten oder nach einem Tagesritt über Toledo zur Burg zurück, war er von den Erfolgen seiner Kampfausbildung oft so begeistert, aber auch erschöpft, dass er am Abend nur noch sein Essen zu sich nahm und sich danach gleich auf seine Bettstatt legte. Und wenn Courvenal, der wegen der Besuche in den Scriptorien wieder seine Kutte trug, beim Morgenmahl anfing, von philosophischen Erkenntnissen zu sprechen oder von Entdeckungen am Sternenhimmel (ein »roter Stern« am nördlichen Horizont sorgte wohl allgemein für Aufregung), hörte Tristan nur mit halbem Ohr zu. Er dachte daran, wie er sich besser auf Turniere vorbereiten könnte, wie die Lanze zu halten war, wie er dem Gegner ausweichen, womit er ihn blenden konnte. Im Traum bewegte er unruhig die Glieder, selbst wenn Courvenal zur Beruhigung die Hand auf die Schulter des Jungen legte. Im Kerzenschein sah er, wie sich unter den bleiernen Lidern die Augäpfel Tristans ruckartig hin und her bewegten, als bestünde sogar die innere Welt nur aus Ecken, in denen sich Unheil und Gefahr verbirgt. Am Morgen dann wollte Tristan nichts davon wissen, Träume gab es für ihn nicht, nur Taten, die er in der Nacht vollbracht hatte. »Ein Kämpfer«, sagte er, »hat das Schwert schon gezogen, bevor er dazu aufgefordert wird.« Courvenal schüttelte den Kopf und blickte zur Seite.
    So redeten sie aneinander vorbei, Tristan und sein Lehrer. Und immer öfter erwähnte der Junge den Namen Herman oder sagte: Don Hermano, was der alles gesagt und getan hätte, wie schön es sei, mit ihm zusammen auf den Turnierfeldern zu üben, wie gut er ihm erklären könne, wie ein richtiges Schwert geschmiedet sein muss. Dagegen seien die Kraftakte von Alfred in Speyer wie die eines Hufschmieds, und was ihm auf Conoêl oder in Montecassino als Jagdertüchtigung zum Bogenschießen beigebracht worden war, sei wohl eher etwas für Kinder gewesen. Außerdem - nun ahmte er Hermans Gesten nach, der beim Sprechen von ihm wichtig erscheinenden Dingen gern mit der Hand vor seinem Kopf in der Luft rührte - gebe es ja nicht nur Burgen und Länder zum Erobern, sondern auch die Herzen der Frauen. Wenn man die für sich gewonnen hätte, wäre so manche Schlacht bereits geschlagen, bevor sie erst beginne. Doch das könne Courvenal ja nicht verstehen als Mönch und Pater.
    So sprach Tristan, und Courvenal erkannte seinen Schüler nicht wieder.
     
    Erst Nella ~151~ dann Thomas
     
    In seinen Notaten hielt Courvenal einige der frühreifen Äußerungen Tristans fest. Er schrieb auch viele seiner spanischsprachigen Äußerungen auf. Der Junge beherrschte die Sprache der Toleder inzwischen fast perfekt und verwendete auch jede Menge Kraftausdrücke. Wohl glaubend, dass Courvenal ihn nicht verstand, nannte er ihn einmal bei einem Streit »culo« - ein schlimmes Wort, das Courvenal verletzte, obwohl er das nicht zeigte. Sie stritten, weil er angeordnet hatte, dass Tristan zwei Tage auf der Burg bleiben sollte. Diese Maßnahme war mit Herman abgesprochen. Es gab Gerüchte, Reisende aus dem Norden seien unterwegs, zwielichtige Gestalten, die behaupteten, den Übergang nach Afrika zu suchen, um den Heiden Gottes Wort zu verkünden. Wie nebenbei erkundigten sie sich dabei nach jungen Männern, die eine weiße Haut hätten und »gelbe Haare«. Das ließ Courvenal aufhorchen. Bevor sie nicht wieder in Conoêl zurück waren, verhielt er sich gegenüber Tristan wie eine Amme, die beim leisesten unregelmäßigen Atemzug ihres Schützlings aufschreckte.
    Tristan konnte mit Courvenals Vorsicht nichts anfangen. Er legte das Verbot, die Burg zu verlassen, als Neid des Lehrers auf seinen Schüler aus. Es war ja schon überall bekannt, wie geschickt er mit den Eisenwaffen, Speer und Pfeil und Bogen umgehen konnte. Es gab kein Ziel, in das er nicht traf. Oft genug auch hatte er bewiesen, dass es nicht nur um das bloße Treffen ging, sondern um die Genauigkeit. Präzises Töten war ein Akt der Gnade, um dem Feind kein unnötiges Leid zuzufügen. Kaum getroffen, stieg seine Seele schon in den Himmel auf. - Wie hätte Courvenal das verstehen können, der im Zusammenhang mit dem Tod immer nur von der »Umwandlung des Geistes« und dem »Abschied zum Jenseits« sprach, von »Tränen der Erkenntnis« und der »Sehnsucht des Bleibenden im Vergehen«.
    Sein Lehrer, so schien es Tristan, wollte ihn wieder an das Pult im Scriptorium zurückbringen und sah seine Hände lieber an den Saiten der Laute

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