Tristan
später von dort wieder abholte, wurde ihm vorgeführt, dass Tristan das Messer, den Speer oder den Bogenschuss fast schon perfekt beherrschte.
Solche Geschicklichkeit eines Jungen, der gerade erst zum Mann wurde, sprach sich schnell herum, und ebenso, dass Don Hermano seine Gehilfen mit guten Münzen belohnte. Tristan genoss dabei anfänglich vor allem die Freiheit, so sein zu können, wie er sich geben wollte. Er konnte sein helles Haar zeigen und seine weiße Haut, ohne dass ihn deswegen jemand für eine besondere Erscheinung hielt. Und weil er gern lachte und selbst keinen Unterschied darin sah, ob ein Mensch nun heller oder dunkler Hautfarbe war, lernte er ebenso gern das Hütchenspiel, mit dem man die Leute auf den Märkten betrügen konnte, wie im Kampf den Einsatz des Körpers, durch den man den Gegner besiegte, ohne eine Waffe zu besitzen. Die Fähigkeit zur simulatio, zur Täuschung, wurde ihm im Kampf zum Prinzip. Schnelligkeit und subtilitas waren nur andere Mittel dieser Überraschung. Wenn es gelang, den Gegner blind zu machen, hatte der Angreifer schon gewonnen. Ohne das sehende Auge gäbe es keine Schlachten. Der Bedrohende aber sieht immer mehr als der Bedrohte, der nur auf sich selbst achtet. Wer also angegriffen wird, muss zuerst sein eigener Feind werden. Dem Schlag, der mit dem Schwert auf dich niedergehen soll, musst du ausweichen und deinen eigenen sofort ausführen. Kehre niemandem den Rücken zu, sondern suche selbst den Rücken des anderen, denn wem du in den Nacken schlägst, der kann den Kopf nicht mehr zu dir umwenden. Dein Schild, das du mit dir herumträgst, ist nur eine Last. Allenfalls schützt es dich vor den Pfeilen des Gegners. Doch die sind so unberechenbar wie die Tropfen aus dem Himmel fallenden Regens. Such deshalb ein Dach, verbirg dich, vergiss, dass du unheldenhaft handeln könntest. Du lebst, um einen anderen totzuschlagen, der dir das Leben nehmen will. Wenn du ihm ein Ohr abtrennst, kann er dich immer noch sehen; wenn du ihm einen Arm vom Leib abtrennst, bleibt noch seine zweite Hand. Töte ihn sofort, stich ihm ins Auge, in den Hals, in den Bauch - aber nicht in die Brust: Du könntest das Herz verfehlen, und dein Gegner schlägt noch ein letztes Mal auf dich ein, obwohl er selbst nur noch Mitleid zu erwarten hat. Wut und Selbsthass sind es, die den blinden Krieger beseelen, das Geschrei um ihn herum, das Um-sich-Schlagen ist sein Lebensmoment, den er als Gottesglück preist, wenn er heil aus der Schlacht hervorgegangen ist. Doch auch der halb tot Gemarterte glaubt noch, er könne sich retten, wenn er die Vernichtung des Gegners anstrebt. Als könnte fremdes Blut das eigene ersetzen. Man erzählte, dass selbst die Toten versuchten, noch einmal zu töten. Am Ende des Lebens gibt es kein Ende. Nur wer zu Asche verbrannt ist, kann nicht mehr singen - das übernimmt das eingeschlossene Wasser im Holz, wenn es im auflodernden Feuer pfeifend entweicht. Was tot unter dir liegt, musst du noch einmal töten, um sicherzugehen. Den Tod kann man nur einmal erleben und nur an sich selbst. Die Luft, die wir atmen, besteht aus dem letzten Hauch derer, die ihn für dich mit ihrer Seele ausgestoßen haben. Deshalb muss dein Pfeil vom Bogen oder der Armbrust direkt in die Kehle treffen. Und wenn du den Feind, unter dir liegend, röcheln hörst, wenn er noch ein paar Worte der Demut, der Bitte um dein Mitgefühl zusammen mit einem Schwall von Blut ausstößt, dann wendest du dich von ihm ab, richtest dich auf, schaust dich um, siehst Kämpfende, eine Hütte, die in Brand steht, niedergetretenes Gras zu deinen Füßen, Schlamm und Moder, in denen sie stecken. Und zwischen den mühselig aufgerichteten Steinmauern, die die Felder abgrenzen und in deren Ritzen Eidechsen und Schnecken friedlich nebeneinander wohnen, siehst du ein paar Ziegen oder Schafe weiden. Du besinnst dich, wo du bist. Doch niemals frage dich, was du getan hast.
Über solche Erfahrungen und unkristliche Weisheiten hatte Tristan viel gehört in den Monaten, die er in Toledo verbrachte. Don Hermano hatte ihn zu abgelegenen fincas geführt, deren Hütten umgeben waren von Kakteenhainen. Viehhirten zeigten ihm, wie man mit dem gebogenen Schwert umging. Er musste Rindern die Kehle durchschneiden, seine Hände, Arme, Beine, seinen Schoß, Hals, Kopf und sein Gesicht in Blut baden. Mauern musste er errichten, Pfähle einkerben, um sie zu stützen, Skorpione am Hinterleib packen und den Giftbeutel in grüngelbe Limonen
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