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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Hemd wie ein Schild zu schieben, der ihn beschützen sollte. Dann rannte er einen Hügel hinauf und verbarg sich atemlos hinter Büschen. Kaum hatte er sich beruhigt, sah er schon Reiter mit Fackeln heransprengen. Sie fanden das Pferd. Sogleich wurde dessen Last überprüft, zwei Reiter wurden ausgeschickt, um die Umgebung nach dem Dieb abzusuchen. Doch sie gaben schnell auf und schienen damit zufrieden, Pferd und Taschen wiederzuhaben.
    Mit großen Augen verfolgte Thomas ihren Abzug, sah, wie sich zwischen den Ästen und Blättern das Licht der Fackeln verringerte, bis ihn nur noch Dunkelheit umfing. Vier Tage und Nächte lang wagte er es daraufhin nicht, sich aus seinem Versteck zu entfernen, vier Tage, in denen er nichts aß und das Wasser in seinem Lederbeutel so einteilte, dass er immer nur einen kleinen Schluck davon nahm. Durch diese Disziplin gelang es ihm, lang genug auszuharren, um unerkannt einzukehren in eine der Städte, die auf seinem Weg nach Norden lagen. Er fand auch ein Kloster, in dem er die Blätter, die er sich um die Brust gewickelt hatte, in bare Münze tauschte. Davon kaufte er sich neue Kleider. Durch sein verändertes Aussehen und mit der mcere, er sei ein Händler und auf der Reise ausgeraubt worden, fand er bald einen hilfsbereiten Kaufmann, mit dessen Tross er über die Alpen nach Bavaria gelangte, noch bevor es Winter wurde.
    In Nürnberg kaufte er für einige der Münzen eine Hütte und begann einen Handel mit Salz und Gewürzen. Da er nun schon einmal beim Betrügen und Lügen so erfolgreich gewesen war und sogar Papier zu Gold gemacht hatte, blieb er auf dieser ihm zuvor selbst verborgenen Seite seiner Fähigkeiten. Er streckte das Salz, das ihm geliefert wurde, durch Kreide, während er den Gewürzen feine, geruchlose Späne aus getrocknetem Gras und dem Mehl im Mörser zerstäubtes Holz untermischte. Auf diese Weise vermehrte er seinen Gewinn an den Säckchen und Beutelchen, die er weiterverkaufte, erst um einen zehnten Teil, dann mit zunehmender Raffinesse noch um weitaus mehr.
    Da er Zahlen teilen, addieren und subtrahieren konnte, fand er bald heraus, welchen Überschuss, den manche Kaufleute auch rebach nannten, er an jeder durch minderwertige Zusätze angereicherten Portion seiner Waren machte. So schrieb er auf seinen Tafeln manchmal schier endlos erscheinende Zahlenketten untereinander, die er dann mühsam beim Licht eines Öllämpchens zusammenzählte. Nachts, ganz allein mit sich und seinem Werk, war die Freude über den Erfolg nicht selten umso größer, je mehr er Neidern zeigen konnte, wie er sie an Geschäftigkeit übertraf. Dass die Freie Stadt Nürnberg ihn einmal würde kontrollieren wollen, daran dachte er gar nicht. Unter dem Strich hatte Thomas stets einen Zins, von dem er einen Teil dem Magistrat und dem Kämmerer freiwillig abgab, um seine Großzügigkeit darzustellen.
    Hinzu kam, dass er seine Ware immer nur an reisende Händler verkaufte. Selbst wenn einer von ihnen eines Tages das getrocknete Gras unter der Myrrhe, oder die zerstoßene Kreide zwischen dem Salz entdeckte, wäre er schon so weit von der Stadt entfernt, dass es sich nicht lohnen würde, Thomas deswegen zu verfolgen und anzuprangern. Händler, die so klug waren, dass sie das Gut prüften und einen Fehler darin entdeckten, waren ebenso gewitzt, für ihre Ware gleich einen nächsten Abnehmer zu finden, bis schließlich die Gewürze und das Salz irgendwo in einer Herberge oder in der Küche eines Herzogs landeten, in der niemand mehr wagte, nach dem Urheber des Verdorbenen oder Gestreckten zu fragen, um nicht selbst in die Verlegenheit zu kommen, zur Rede gestellt zu werden.
    Thomas, inzwischen Thomas von Brüggen genannt, weil er verbreitet hatte, er käme ursprünglich aus dem flämischen Land, wurde in kurzer Zeit ein wohlhabender Mann und zog in ein steinernes Haus. Ihm fehlten Weib und Kinder, das nahm man wohl wahr in den Händler- und Kaufmannskreisen, in denen er verkehrte. Auch war auffällig geworden, dass er des Öfteren junge Männer bei sich beherbergte - aber man zog keine weiteren Schlüsse daraus. Erst als sich ein Italiener namens Buenoventura, der vorgab, mit Öl zu handeln, eines Nachts in die Gasse vor Thomas’ Haus stellte, um Einlass flehte und ausfällig wurde, als die Tür verschlossen blieb, schöpfte man Verdacht. Daraus wurde schnell böses Gerede, das Thomas zu Ohren kam. Sogleich ließ er sein Vermögen durch Freunde nach Speyer und Colonia transferieren und machte sich

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