Tristan
Königin erfüllt hatte. Was würde sie für Augen machen, wenn er ihr die Nachrichten überbrachte, nach der sie sich sehnte - was würde er fühlen, wenn er ihre Belohnung entgegennähme nach all den Jahren. Und wenn ich, begann er zu träumen und schaute wieder aufs Wasser des unruhigen Flusses, wenn ich König wäre, ich würde …
Er wurde gerufen. Das Boot war zu nah ans Ufer geraten. Da musste jeder mithelfen, es mit langen Stangen wegzustoßen. »Dorran, du irländischer Hund! Nimm endlich eine Stange, wir müssen uns abstoßen!«, hörte er wieder rufen. Diesmal war es das andere Ufer, dem sie zu nahe kamen.
Tristan hingegen war zur gleichen Zeit weit weg von dem, was man an sich heranholen oder von sich hätte wegstoßen können. Er befand sich mitten auf dem Meer auf einem flämischen Kaufmannsschiff, das voll beladen war mit Stoffen aus Sicilia. Nur zwei Pferde hatten noch Platz darauf gefunden, und Courvenal und er hatten auf ein Lager verzichten müssen. Doch das bedeutete nichts. Es ging der Heimat und den Eltern entgegen. Tristan brauchte keinen Schlaf, er hielt sein Gesicht in den Wind und versuchte, das Land, dem sie sich näherten, zu riechen, bevor sie es erreichten oder durch das Geschrei der Möwen entdeckten. Doch als sich tatsächlich die Möwen näherten und hungrig schrien, als sich sein Herz vor Glück überschlug und er Courvenal, der sich deswegen nicht mehr zu ihm herabbeugen musste, umarmte, wünschte er sich zugleich einen Bogen und einen Speer in seiner Hand, um eine der Möwen im Flug zu treffen wie vor Zeiten mit Ortie. Die Erinnerung an seine Kindheit zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht.
Courvenal sah, als sie sich der Küste näherten, nicht das tobende Wasser des Meeres, das dort anbrandete, sondern es schien ihm, als würde ihnen gleichsam das Land entgegenschwimmen und ihnen so die Gewissheit geben, dass sie auf festem Grund einen sicheren Halt fänden für alles, was an Unvorhersehbarem noch auf sie zukommen sollte.
Neuntes Buch
DIE ENTFÜHRUNG
Kapitel 160-169
Ankünfte ~ 160 ~ Thomas von Brüggen
Jeder, so schien es, kam wohlbehalten an sein Ziel. Tristan zuerst, gefeiert von allen, gelangte glücklich nach Conoêl. Vor ihm lag eine Zeit ohne Mühen. Einen Monat später erreichte Dorran mit einem dänischen Einmaster, der voll beladen war mit Schwertern und Lanzen, Irland und eilte zu seiner Königin Isolde. Sie empfing ihn mit Misstrauen, warum er so lange fortgewesen sei, um mit der spärlichen Nachricht, der Königssohn sei auf dem Rückweg in seine Heimat, vor sie zu treten. Ob denn dieser Königssohn überhaupt existiere und wo die beiden Knechte seien, die er hatte verfolgen sollen, wollte sie wissen.
Dorran war froh, als die Königin auf Maol und Kanut zu sprechen kam. Jetzt konnte er von sich ablenken und auf die kristen schimpfen, die jeden zu Sklaven machten, auch ihn und die Kundschafter hätten sie gefangen genommen, und nur er habe fliehen können. Die kristen, das seien …
Isolde hielt sich die Ohren zu und schrie, das interessiere sie nicht, als ihre Tochter Isôt den Raum betrat. Fast sieben Jahre war auch sie inzwischen älter geworden, und Dorran hätte die junge Frau kaum wiedererkannt. Vielmehr erschrak er vor ihrer Schönheit. Doch Isolde, die Mutter, holte ihn durch karge Worte aus seiner Verwunderung zurück zu seinem Auftrag und wünschte innerhalb der nächsten Tage, nachdem er sich ausgeruht hatte, einen ausführlichen Bericht über seine langjährige Abwesenheit.
Isôt, die das kurze Zwiegespräch zwischen ihrer Mutter und Dorran mitanhörte, ohne daraus entnehmen zu können, worum es ging, entfernte sich missgelaunt, sie sei mit Brangaene in der Hütte am Meer.
»Geh nur, geh nur!«, rief ihr Isolde nach, wandte sich wieder Dorran zu und veränderte gleich ihren Tonfall. »Du hast mich«, fuhr sie ihn scharf an, »fünf Goldmünzen gekostet, nur um mir weiszumachen, dass sich der Knabe wieder dort befindet, wo er einst war? Und deshalb hast du dich in der halben Welt vergnügt, während wir hier auf unserer Insel bitterkalte Winter und zwei völlig verregnete Sommer erlebten?«
Dorran sah, wie wütend seine Königin war. Sie verfluchte ihn und wandte sich dabei zum Glück von ihm ab, sodass ihn der Fluch nicht traf, aber er musste heftig atmen, als er aus dem Gemach trat, ein geteilter Atem voller Zorn und voller Freude: glücklich darüber zurück zu sein und verärgert, wie ein Hund empfangen zu werden.
Berichten
Weitere Kostenlose Bücher