Tristan
selbst aus dem Staub, wohl wissend, dass zwanzig Meilen entfernt kein einziger Hahn mehr nach ihm krähen würde.
Da er über genügend Mittel verfügte, um sich jede Reise leisten zu können, reizte es ihn, das unverdiente Glück, das er genoss, dort auf die Probe zu stellen, wo er es durch einen Zufall in nuce, wie er es nannte, getroffen hatte: im Schatten des großen Lehrers Courvenal und dessen Schülers Tristan. Er kannte ungefähr das Ziel der beiden, nachdem sie sich in Toledo getrennt hatten. Conoêl war ein Name, der für viele Händler, vor allem wenn sie Schiffe besaßen, von Gewicht war. Parmenien kannte man, weil es unter den verschiedenen Ansprüchen litt, die englische, fränkische und sogar irländische Königreiche darauf erhoben.
»Conoêl?«, hörte Thomas einmal einen Händler aus Danmark abfällig sagen - und dabei fuhr ihm ein Stich durchs Herz -, »dieser letzte Hafen bei stürmischer See? Was ist damit? Leuchtfeuer haben sie, ein paar Unterstände, in denen man diesen abscheulichen sydre trinkt. - Doch sonst? Keine Hemden, die man hochheben kann. Und vor Jahren ist der Edle dort gestorben. Ein Marschall passt jetzt auf das Lehen auf. Und Morgan, ein streitsüchtiger Nachbar, holt sich mit seinen Soldaten von ihm seine Zinsen und lebt davon. Einen Königssohn soll es geben, erzählt man sich. Aber noch niemand hat ihn gesehen. - Conoêl? Lasst mich damit zufrieden!«
Also auf, dachte sich Thomas bei dieser Rede, und nichts wie dorthin! - Daran erinnerte er sich, als er nun selbst in Bedrängnis war. Und machte sich auf den Weg.
Ein einziges Fest ~161~ Das Glück im Unglück
Tristans Ankunft in Conoêl wurde gefeiert wie die Rückkehr eines Königs nach einer gewonnenen Schlacht! Kaum war das flämische Schiff bei Dieppe vor Anker gegangen, wurden schon schnelle Boten zur parmenischen Burg ausgeschickt, und kaum erhielt Rual die Nachricht der Ankunft, sandte er seinem Sohn zum Schutz einen Tross Bewaffneter entgegen, als wäre der letzte belanglose Teil von Courvenals und Tristans Reise auf heimischem Boden entlang der Küste nach Norden der gefährlichste.
Bereits nach einem Ritt von nur fünf Tagen begegnete dem jungen Mann und seinem Lehrer die Eskorte und führte die beiden sicher nach Conoêl. Vier ganze Wochen bis zu Pfingsten im Mai gab es beinahe jeden Tag auf der Burg ein Spektakel, ein Fest, Heilige Messen, Jagdausritte, Auftritte von Barden, Reiterwettkämpfe und Spiele für Kinder, wie sie sonst nicht einmal auf ein ganzes Jahr verteilt in Parmenien stattfanden. Die Leute, vom Stalljungen bis zum Hauptmann der Wache, sprachen schon bald davon, dass man den jungen Herrn des Öfteren in die Welt schicken sollte, er aber früher zurückkommen müsse, damit es allen so gut gehe wie in diesen Tagen. Draußen in den Gassen und auf den Plätzen wurde gelacht und getanzt, der Burgherr hatte Essen an alle verteilen lassen, die Feuer brannten Tag und Nacht. Das Burgtor hingegen hielt Rual verschlossen, um Höflinge und Kriecher abzuhalten. Nur Fremde in wichtiger Mission, die sich ausweisen konnten, wurden eingelassen.
In den Kemenaten des Marschalls und seiner Frau Floräte wurden Courvenal und Tristan fast täglich beinahe dazu gezwungen, von ihren Erlebnissen zu berichten. Courvenal war dessen bald leid. Er hätte sich gern zurückgezogen, um seine Notate aus den Wachstuchumschlägen zu befreien. Aber er befriedigte erst einmal mit seinen ausführlichen Berichten die Neugier seines Herrn.
Tristan hatte es einfacher. Er ließ sich eines der Instrumente geben, das sie jahrelang mitgeschleppt hatten, und begann, in fremden Sprachen zu singen, Lieder, die niemand verstand. Allein dadurch bewies er schon, wie weit gereist er war. Die anziehende Wirkung auf seine unwissenden Zuhörer verführte ihn dazu, seine in Versen vorgetragenen Berichte auszuschmücken, Kämpfe mit giftigen Schlangen zu erfinden, deren Köpfe größer waren als der Blasebalg des Schmieds. Zehn gespaltene Zungen seien aus den Mäulern zischelnd herausgefahren, und Gift sei grün, so grün wie nichts auf dieser Welt, und klebrig, so klebrig, dass Honig dagegen wie Wasser sei. Bei einem der Kämpfe, die er mit solchen Monstern und Wölfen vor den Zuschauern vollführte, wirbelte er den maurischen Krummsäbel um sich herum und mit solcher Schnelligkeit und Geschicklichkeit über sich hinweg, dass den Zuschauern der Atem stockte und sie glaubten, er hätte sich an allen seinen Gliedern selbst das Fleisch
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