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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Königin«, wagte er nur noch zu flüstern, »irgendwo auf der Welt. Gott hat uns ein Zeichen gegeben. So leicht sine casus verschwindet kein Stern vom Himmel. - Hört Ihr mich?«
    Keine Antwort, kein Geräusch. Benedictus begann sich umzusehen, erwartete, dass ein Licht angezündet würde, wenn schon ein anderes verloschen war. Doch alles blieb dunkel.
    »Isolde - meine Königin«, sagte er flehentlich, »hört Ihr mich nicht?«
    Er vernahm sein eigenes Atmen. Draußen war nur das Schnauben der Pferde. »Königin Isolde?«, rief er noch einmal leise.
    Wieder blieb alles still. Benedictus tastete sich zum Ausgang zurück und zog, kaum dass er vor dem Zelt stand, seine Kutte aus. Es war ihm einerlei, wie er aussehen mochte. Vor gänzlicher Nacktheit schützten ihn nur noch seine Beinkleider. Er schwitzte so sehr, dass er die feste Wolle um sich herum nicht mehr ertragen konnte. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht, von der Stirn in die Augen und aus den Achselhöhlen die Rippen entlang zu den Lenden hin. Er versuchte, sich mit dem Stoff der Kutte abzutrocknen, merkte aber zugleich, dass er denselben Versuch ebenso gut mit dem nassen Fell eines Hundes hätte unternehmen können.
    »Ich rieche, ich stinke, ich transpiriere widerlich!«, fluchte er bei jedem Schritt, den er auf das Steinkloster zumachte, und wünschte sich nichts sehnlicher als einen sprudelnden Bach, in dessen erfrischendes Wasser er sich hätte fallen lassen können, um alle Fragen zu vergessen, die der Himmel ihm stellte. Er konnte sich das Schweigen seiner Königin nicht erklären. Etwas Ungeheuerliches musste geschehen sein, und sie wollte nichts davon wissen? Wie war das möglich, da Isolde sich doch sonst in alles einmischte? War mit dem roten Stern auch der Zauber der Königin verglüht?
     
    Stella fulgens ~171~ Glühendes Eisen
     
    Auch Curtius, einer der Mönche der kleinen Abtei auf Conoêl, der für die . Beobachtung der Himmelskörper zuständig war, hatte bemerkt, dass der seit bald sieben Jahren am nördlichen Horizont mit großer Stetigkeit auftauchende Stern, den er Stella fulgens genannt hatte, in der 25. Nacht des ersten Sommermonats nicht mehr zu sehen war. Wie immer verzeichnete er seine Wahrnehmung in seiner Chronica firmamenti mit einer kurzen Notiz als Merkwürdigkeit, maß aber dem Verschwinden des Sterns sonst keine weitere Bedeutung bei. »Wolken verstellen uns immer wieder den Blick ins Ewige«, schrieb er mit kratzender Feder aufs Pergament bis an den äußersten Rand, um Platz zu sparen für die vielen Einträge über Wind und Wetter, Himmel und Erde, Mond und Sonne, deren Verlauf er akkurat verzeichnete.
    Als Mitternacht schon längst vorbei war, wollte er sich wie immer zu seinem Lager begeben. Da bemerkte er im Hof vor dem Gebäude des Marschalls eine Menge von Reitern, alle mit Fackeln versehen. Rufe schallten zwischen den Männern hin und her, und der Marschall selbst ritt immer wieder von der einen zur anderen Gruppe und schien mit den Anführern zu reden. Curtius erkannte von seinem Fenster über dem Torbogen zur Abtei sogar die Marschallin, wie sie unruhig auf und ab ging. Neugierde ergriff ihn, und so lief er hinunter auf den Hof.
    Dort war inzwischen ein Feuer angezündet worden, wohl kaum, um sich in der lauen Nacht zu wärmen, sondern des Lichts wegen, bei dem es sich besser miteinander reden ließ. Schon nach den ersten Fragen, die er an ein paar Reiter richtete, die sich in der äußeren Linie der Umstehenden befanden, wurde ihm schnell klar, was geschehen war: Tristan und Courvenal waren von einem fremden, von Asturien herkommenden Schiff - wie es hieß - aufs Meer hinaus entführt worden. Nun galt es, Pläne zu entwerfen, wie man sich verhalten sollte. Mitten in der Nacht Segler auszusenden schien allen ein unseliges Unterfangen. Niemand konnte sagen, wohin die Entführer unterwegs waren, und das Meer war zu groß, um darauf nach jemandem zu suchen.
    Curtius drängelte sich, nachdem er die ersten Nachrichten vernommen hatte, durch die Reihen der Reiter hindurch und stand bald in der Nähe des Feuers. Dort sah er Rual und neben ihm Linnehard, den Hauptmann der Wachsoldaten, aber auch Floräte mit aufgelöstem Haar. Ihnen gegenüber standen zwei Männer, die er nicht kannte. Der eine war hager, helles Haar fiel ihm auf die Schultern, und er hatte einen lichten, fransigen Bart, den man ihm besser hätte abnehmen sollen. Der andere war nicht weniger groß, aber mit einem ledernen Wams gekleidet und Schuhen,

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