Tristan
betrat. »Helen!«, rief er dabei aus und überraschte sie, wie er es auch all die Tage zuvor gern gemacht hatte, »welche Schleimsuppe gibt es heute? Ist etwa noch ein Rest für mich da, oder haben die anderen Knappen schon alles weggegessen?«
Sie war so erschrocken, ihn plötzlich vor sich zu sehen, dass sie kein Wort hervorbrachte und über seine Scherze nicht einmal lachen konnte, ganz so, als würde sie die neuen Regeln, die ihr Brit aufgetragen hatte, folgsam beachten.
Veränderungen ~192~ Nachrichten
Alles hatte sich verändert. Denn Marke ließ nun, nach Rücksprache mit den Landeren Lords, verkünden, dass Tristan sein Nachfolger würde für den Fall, dass er in seinem Leben keine Frau mehr finden und kein Kind zeugen würde. Mit der Gewissheit, dass Blancheflur, seine Schwester, in Tristan fortlebte, verbot sich ihm beinahe der Gedanke an eine Heirat. Auf jegliches Ersuchen, eine der Nichten oder Cousinen seiner Gefolgsleute zu empfangen, reagierte er stets abweisend. Es schien, als sei der Werdegang der Geschichte schon beschlossene Sache. Mit der Entdeckung Tristans als Erbfolger schienen für Marke alle Grübeleien über die Zukunft verschwunden zu sein. Selten hatte man ihn so entschieden und fröhlich gesehen. Das Fest der Schwertleite ließ er vorbereiten, als würde er die Geburt oder Taufe seines leiblichen Thronfolgers zelebrieren wollen. Er schickte Boten aus in alle Länder, bat Fürsten und Ritter, seine Gäste zu sein, ordnete an, dass noch Jünglinge, die bisher nicht mehr als ein Holzschwert in der Hand gehalten hatten, ebenfalls zu Rittern geschlagen werden sollten, und untergrub damit die Anordnungen Gurmûns, dem er jedes Jahr Zins und Reiter schuldete.
Marke war das gleichgültig. Er war so frohgemut, dass er nicht an die Folgen dachte, die auf ihn zukommen könnten. Da der Weg übers Meer nach Irland ohnehin immer nur einseitig von Westen nach Osten aus befahren wurde, schloss er in seinem Übermut auch aus, dass man dort etwas von seinem Glück erfahren würde.
Sicher dauerte es ein paar Wochen, bis man im Hause Gurmûns von dem plötzlich wie durch Zauberei aufgetauchten König der Parmenier und Neffen König Markes erfuhr. Doch der Tag, an dem diese Nachricht durch einen Schiffshauptmann, der als Händler getarnt an den Küsten Britanniens unterwegs war, bei Königin Isolde eintraf, war für sie wie ein Schlag ins Gesicht und versetzte sie in Angst und Schrecken. Gurmûn war wie stets außerhalb der Burg im Streit mit Nachbarn, war ausgeritten, um sich Frauen zu suchen, die er schwängerte aus reiner Lust und Furcht vor einem kurzen Leben. Isolde wusste das alles, sie sah es ihm auch nach, aber sie strafte sich selbst, weil sie dem Gott der kristen mehr geglaubt oder dem Mönch Benedictus nicht richtig zugehört hatte, als er mit dieser Tristanlegende zu ihr gekommen war. Halbherzig nur hatte sie auch auf die Druiden gehört, deren Steinwurfrätsel sie doch schon bei Zeiten gewarnt hatten. Dann verschwand der rote Stern, und nun war ein Königssohn aufgetaucht.
Wie hatte das Orakel geheißen? Dass einer vom Festland einst durch Heirat es vollbringen werde, dass die Königreiche der heiligen Insel und somit der Mittelpunkt der Welt den Britanniern und Angeln, den Pikten und Saxen und wie all diese seynslosen Stämme hießen, zufallen würde. Was die Römer nicht vollbracht hatten, würde eine Schlange bewirken im eigenen Nest…
Isolde konnte nicht mehr denken! Sie tobte, schickte nach ihrer Tochter, die mit der Zofe bei ihrer Cousine im Süden war, ließ die Wachen verdoppeln, König Gurmûn benachrichtigen und saß zwei Nächte grübelnd über Schriften, Steinen und Linien im Sand, die ihr nichts als Unheil zu verheißen schienen. Wie eine Spinne in ihrem Netz tanzte sie auf den Fäden herum, ohne ein Opfer ausmachen zu können. Die Tage vergingen ihr wie Tropfen, die sich nicht von den schmelzenden Eiszapfen lösen wollten. Einen halben Monat dauerte es, bis endlich ihre Tochter eintraf, zusammen mit Brangaene. Sofort ließ sie beide wegsperren, niemand außer ihr durfte Kontakt zu ihnen aufnehmen.
Benedictus, der davon gehört hatte, dass es der Königin schlecht gehe, klopfte immer wieder ans Tor der Festung, erhielt aber keinen Einlass.
Dann kamen neue Nachrichten aus Britannien, die die Königin ein wenig beruhigten: Dieser Tristan war zum Ritter geschlagen worden, König Marke habe ihm sein Land geschenkt und zum Erben gemacht, damit der Jüngling als Lord
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