Tristan
anerkannt würde. Das Fest sei so groß gewesen wie das der Germanen in Mainz! Einen halben Monat habe es gedauert, jedes Ritual und jedes Kleidungsstück der hohen Gäste auf Pergament in Worten und Beschreibungen festzuhalten und zu notieren. Als alles vorüber war, sei Tristan als König von Parmenien in sein eigenes Land zurückgekehrt.
Er war also wieder auf terra firma, wie Benedictus das Festland nannte. Isoldes Unmut wich von ihr. Wie ein Gespenst war sie in den letzten Tagen in ihrem Gemach hin und her gelaufen, weil sie sich nichts anderes hatte vorstellen können, als dass dieser Tristan mit hundert Schiffen vor der Küste Irlands landen würde, um das Land der Mutter Erde mit Blut und Elend zu überziehen. Doch nichts dergleichen geschah.
»Heggen!«, rief Königin Isolde nach ihrem Knappen und befahl ihm, Isôt und Brangaene herbeizuschaffen.
»Was auf der Welt geschieht, ist furchtbar!«, sagte sie, als die beiden vor ihr standen, und griff sich in die wirren Haare. »Wie alt ich bin, weiß ich nicht genau. Ich zähle nicht die Monde, wie es die Mönche tun. Doch eins weiß ich: Dieser Königssohn aus Britannien wird euch niemals zu Gesicht bekommen. Und wenn es trotzdem geschieht, werde ich tot sein!« Das Wort »tot« schrie sie aus sich heraus, erschreckte Brangaene und weit mehr Isôt.
Die verstand ihre Mutter schon seit Langem nicht mehr. Von allem, was in den Orten an der Küste geschah, hielt man sie fern. Isolde schickte sie ins Landesinnere, zu Tanten und Cousinen, hob sie auf Rösser, die sie weit weg bringen sollten vom Meer, als würde ihr von dort großes Unheil drohen. Kam Isôt wieder einmal an eine Küste, lief sie barfuß durch den Sand den Wellen entgegen oder schaute von einem Felsen in die Weite des Horizonts, der ihr unendlich erschien und Sehnsucht in ihr erzeugte wie bei jedem jungen Menschen. Gleichwohl waren stets die warnenden Worte ihrer Mutter in ihrem Kopf, die ihr Angst machten, sodass sie den Blick senkte, um sich nicht in der Vorstellung der Freiheit, die sie mit der Weite ihres Blicks verwechselte, zu verlieren.
Das unaussprechlich Ferne war zur Magie ihrer Träume und Wünsche geworden. Doch die Welt setzte sich für sie aus dem zusammen, was ihr als das Fremde Unheil bringen könnte. Zufriedenheit und Glück, behauptete ihre Mutter, bestünden nur darin, der eigenen Herkunft zu folgen und nicht ein einziges Mal um Haaresbreite von diesem Weg abzukommen. So redete Isolde zu Isôt vor allem, wenn sie inmitten ihres verräucherten Gemachs saßen bei geschlossenen Türen, weil die Mutter die Feindseligkeiten, die ihnen von Britannien und dem Festland her drohten, von der jungen Tochter abhalten wollte.
Isôt wusste in solchen Momenten nicht, was sie von ihrer eigenen Mutter halten sollte. Sie sah eine Frau vor sich, die auf sie einredete und von irgendeinem Händler Räucherwerk aus einem fremden Land bekommen hatte, das man anzünden konnte und das fürchterlich stank. Die Mutter verteilte »die Wohlgerüche« sogar noch mit ihren in der Luft rudernden Armen, zelebrierte eine Art Tanz, lispelte Verse, wie um zu zeigen, dass sie die fremde Sprache, die dieses Rauchzeug begleitete, beherrschte, um damit Macht über die Sinne ihrer Untertanen auszuüben.
Isôt empfand dieses Getue als abstoßend. Wenn ihre Mutter erschöpft vom Tanz und berauscht von den Gerüchen auf ihr Lager sank, zog sie sich zurück, folgte dem Winken von Brangaene, lachte mit ihr über die Aufführung, die sie gerade miterlebt hatte, und war sich nicht bewusst, dass sie zugleich über ihre Mutter lachte. Als Brangaene sie einmal daraufhinwies, wandte sich Isôt schnippisch um, befahl ihr, Wasser zu holen, obwohl sie gar keins brauchten, und zeigte ihr damit, in welchem Verhältnis sie zueinander standen. Brangaene verstand den Hinweis sehr gut. Aber sie glaubte, die junge Königstochter zu sehr zu lieben, als dass sie ihr etwas übel nehmen konnte. Solange sie an Isoldes Seite leben würde und dafür ihr Brot, ihre Schlafstatt und dann und wann ein paar Münzen bekam, die sie dem Vater zusteckte, war sie zufrieden. Ihre Demut war Abhängigkeit, das wusste sie oder ahnte es zumindest.
Für die Zeit, in der sie diesen Schmetterling Isôt beschützen sollte, der sich gegen seine Mutter Isolde nur wehrte, um frei und unberechenbar herumflattern zu können, hatte sie ihr Auskommen. Sorgen machte ihr auch nicht Gurmûn, Isôts Vater, der immer nur wissen wollte, ob seine Tochter in den Heilkünsten
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