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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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musste, entgegen seiner Gefühle, zeigen, dass er nicht nur seine Untertanen, sondern auch sich selbst beherrschen konnte.
    Allerdings gelang es ihm nicht, gänzlich seinen Hass gegenüber dem Iren zu unterdrücken und hin und wieder einen kurzen Blick auf Morolt zu werfen. Der irische Fürst, Bruder der Königin Isolde von Erui, wie sie sich nannte, saß grinsend da, ließ von dem Schreiber, den er mitgebracht hatte, auch eine Namensliste der jungen Adligen führen und besah immer wieder seine riesigen Hände, von denen er den Schorf der Schnittwunden und um die langen Fingernägel herum die Nagelhaut abkratzte. Marke widerte es an, dies mitansehen zu müssen, dieser Mensch erregte in ihm eine unüberwindbare Abscheu. Sein Kopf war so groß und klobig wie der des schlimmsten Wikingers, den er sich vorstellen konnte. Die rostfarbenen Haare hingen ihm in die Stirn und reichten im Nacken bis auf die nackten Schultern. Denn Morolt trug kein Hemd, sondern nur ein ledernes Wams ohne Ärmel. So zeigte er seine nackten Arme, die doppelt so dick waren wie die Markes, voller musculi, festes Fleisch wie beim Schenkel eines Pferdes. Mit seinen Händen könnte er jedem der Jungen den Kopf zerquetschen, stellte sich Marke vor. Niemand der anwesenden Männer hätte auch nur daran denken können, gegen diesen Mann im Kampf anzutreten. Es wäre ein Todesurteil für jeden Herausforderer. Morolt war stark wie kein anderer. Morolt war ein Tier. Marke sah mit einem Seitenblick, wie sich der Ire in den Bart griff, den Mund öffnete und wie ein knurrender Hund seine angefaulten, schwarzen Zähne zeigte. Er musste den Blick abwenden.
    »Frederic O’Reilly«, wiederholte der Chronist den Namen des nächsten Jungen, der vor Marke hingetreten war.
    Marke nickte und schaute auf zehn der Knaben, die noch an Morolt ausgeliefert werden sollten. Er hob die Hand. »Können wir eine pausa einlegen?«, fragte er, erhob sich, ohne eine Antwort abzuwarten, nickte mit dem Kopf in Morolts Richtung und ging zum hinteren Ausgang.
    Zum dritten Mal in Folge vollzog sich diese Zinsabgabe in Form von jungen Adligen und Söhnen von Baronen an den Hof des irischen Königs. Alle drei bis vier Jahre kam Morolt übers Meer und holte sich Sklaven für seine Armee. Marke konnte nichts dagegen ausrichten. Alles war vertraglich festgelegt. Einhalt konnte diesem unmenschlichen Treiben nur geboten werden, wenn Morolt von einem Britannier, der zudem noch aus der Sippe der Fürsten oder Markes stammen musste, im Zweikampf besiegt werden würde. Einige der Väter der Jungen, die verschleppt werden sollten, hatten versucht, gegen Morolt anzutreten. Aber dieser gewaltige Mensch hatte mit seinem Schwert einmal nur kurz zugeschlagen und alle seine Gegner getötet. Zwei von ihnen hatte er sogar den Kopf abgetrennt und war mit den Schädeln in den Händen lachend vor Marke getreten. McGomrick war darunter gewesen, nicht einmal fünfunddreißig Jahre alt, und Ferrendon, den Marke besonders vermisste, weil er ihm als Berater bei der Erzgewinnung so hilfreich gewesen war. Der König hatte daraufhin das Verbot ausgesprochen, dass sich Väter von rekrutierten Knaben Morolt im Kampf stellten. Was Lehnsrecht war, musste hingenommen oder durch Krieg beendet werden. Es gab kein anderes Gesetz. Und um Krieg zu führen, war das Fürstentum Cornwall viel zu schwach. Die Einforderung von Knappen durch Morolt blutete das Land noch mehr aus. Bisweilen war es dem einen oder anderen Jungen gelungen, aus der irischen Sklaverei zu fliehen. Dann wurden fürchterliche Geschichten erzählt, die das ferne Land und seine Beherrscher noch grausamer erscheinen ließen, als sie in Wirklichkeit waren.
    Marke wusste sich auch an diesem Tag keinen Rat. Er saß in einer Nische des Flurs, der den Königssaal mit seinen Gemächern verband, hatte die Hände vors Gesicht gelegt und spürte, wie ihm die Tränen aus den Augen traten. Da berührte ihn jemand an der Schulter. Marke blickte auf und sah einen seiner Knappen vor sich. Er hatte ihn in den vergangenen zwei Wochen vermisst, niemand schien zu wissen, wo er geblieben war. »Golsh!«, sagte Marke erstaunt. »Wo bist du gewesen? Wir haben überall nach dir suchen lassen.«
    »Es tut mir leid, Herr«, sagte der junge Mann. »Aber als Morolt mit seinen Mannen die Küste erreichte, bin ich selbst in ein Schiff gestiegen. Auf Euren Befehl, gab ich an.«
    »Auf meinen Befehl? Was für ein Schiff? Und warum?« Marke war aufgestanden.
    »Eines Eurer Handelsschiffe -

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