Tristan
Zwischen Wolkenbahnen brachen plötzlich Sonnenstrahlen hervor und ließen die Rüstungen der beiden Ritter aufblitzen, in ihrem Glanz waren sie nicht mehr zu unterscheiden. Gegeneinander kämpfend verschwanden die beiden Gestalten hinter einem Felsvorsprung, schlugen, wieder hervortretend, noch immer aufeinander ein. Dann ging einer von ihnen zu Boden. Marke hielt den Atem an. Er vermutete, dass es Tristan war. Doch als der über ihn Gebeugte zum Schlag ausholte, erstarrte er plötzlich in seiner Bewegung und fiel auf den Rücken. Der andere erhob sich, taumelte und stützte sich auf sein Schwert. Marke und Courvenal waren von ihren Sitzen aufgesprungen und starrten auf die ferne Insel. Einer der Ritter blieb am Boden liegen und bewegte sich nicht mehr. Der andere hob das Schwert in die Luft, schwenkte es über seinem Kopf und ließ es niederfallen wie ein Schmied seinen Hammer. Einen Herzschlag lang war es still, und nichts bewegte sich. Bis plötzlich vom Ufer her zur Tribüne hinauf ein Jubelgeschrei ertönte: »Tristan … besiegt… Morolt… tot!«
Marke sah Courvenal an, seine Augen füllten sich mit Tränen. »Wer ist tot?«, murmelte er.
»Morolt. Es ist vorbei!« Courvenal breitete seine Arme aus, in die Marke hineinfiel wie ein Kind, das beschützt werden will.
Blut ~210~ Freude
Markes Ritter und Knappen hatten viel damit zu tun, die Leute vom Landungssteg fernzuhalten, an dem das Boot anlegen würde. Sie alle wollten Tristan begrüßen und ihn als ihren Retter feiern. Denn schon näherte sich das irische Boot. Tristan hatte darauf bestanden, dass er auf diesem Schiff an Land gebracht werde, obwohl gleich nach dem Kampf sein eigenes von Cornwalls Ufer abgelegt hatte, um ihn abzuholen. Doch nur dessen Mannschaft hatte die Insel betreten, Morolts Boot klargemacht und Tristan an Bord getragen. Morolts Leichnam ließ man auf der Insel zurück. Um ihn sollten sich seine Mannen kümmern, wenn Tristan und sein Pferd in Sicherheit waren. So war die Abmachung.
Da die Soldaten gleich gesehen hatten, dass Tristan am rechten Bein blutete, wurde ein Beiboot vorausgeschickt, um zu veranlassen, dass sich ein Medicus bereithielt. Marke und Courvenal erreichte die Nachricht von Tristans Verwundung erst, als sie auf ihren Pferden auf dem Weg nach unten zum Landungssteg waren. Sie stellten sich dort auf, nachdem sie alle anderen weggeschickt hatten. Nur der Medicus sollte paratus sein, sobald er eingetroffen war.
Das Boot näherte sich. Marke und Courvenal hielten Ausschau nach Tristan und sahen zunächst nur die Ruderer und den Kommandanten. Als das Boot anlegte und sicher vertäut war, bestiegen sie es und fanden Tristan auf einer Bahre liegend. Er lächelte, wie er seine liebsten Gefährten bemerkte, wich aber mit dem Blick zur Seite aus, als wollte er in den Himmel schauen. Courvenal rief erneut nach dem Medicus, Marke kniete nieder und drückte sein Gesicht an die Wange seines Neffen. »Du hast es geschafft«, flüsterte er, »du hast uns befreit. Wir alle werden dir ewig dankbar sein.«
»Ich habe ihm mit meinen Händen den Kopf abgeschlagen«, sagte daraufhin Tristan leise, schloss die Augen und fuhr fort: »Das erste und einzige Mal. Nie wieder werde ich einem Menschen den Kopf abschlagen, nie wieder. Es ist das Schlimmste, was man tun kann. Ich bin eine Bestie.«
»Du bist entkräftet und verwundet«, beschwichtigte ihn Marke. »Beruhige dich. In ein paar Tagen sieht alles ganz anders aus.«
»Eine Bestie«, murmelte Tristan noch einmal. Dann verlor er das Bewusstsein. Courvenal sprach ihn an, doch er gab kein Lebenszeichen von sich.
Der Medicus eilte herbei. Noch auf dem Schiff ordnete er an, dem Verwundeten die Rüstung abzunehmen und den Körper vom Kopf bis zu den Hüften zu entblößen. Damit ihm nicht später beim möglichen Tod des Verwundeten Fehler nachgesagt werden könnten, verlangte er einen Zeugen, der ihm bei der Behandlung zur Seite stehe. Marke wandte sich ab, dies ginge über seine Kräfte. Dass sein Neffe verletzt war und leiden musste, schmerzte ihn fast noch mehr, als wenn er tot gewesen wäre. Also erklärte sich Courvenal bereit, dem Medicus als adlatus zu dienen. Mit Zangen und Scheren schnitten sie gemeinsam den Unterleib aus seiner Umpanzerung und versuchten dabei, Tristan so wenig wie möglich zusätzliche Schmerzen zuzufügen.
Der Medicus gab Courvenal sachliche Anweisungen in akkuratem Latein. Schale um Schale wurde von der Haut entfernt: erst das eiserne Korsett, dann
Weitere Kostenlose Bücher