Tristan
singt. Alles schön, alles gut. Aber Isolde? Sein Herz zog sich zusammen. Sie war jetzt bei Marke. Brangaene von Hägon - spürte er in sich die Worte der Zofe nach, eine Melodie, die sich in ihm festsetzte.
Tristan stand auf. Der Morgen graute, er musste sich hinlegen. Aber Ruhe würde er sicher nicht finden können! Er schwankte, als er die Flure entlangging. In dem Saal, in dem er mit einigen Rittern zusammen sein Quartier hatte, hörte er das Schnarchen der Männer.
Er legte sich auf seine Bettstatt. Sie stand weit entfernt von der Latrine. Das beruhigte ihn, denn schon stand einer der Ritter auf, musste husten und furzte und verzog sich in Richtung des Aborts.
Tristan hielt sich die Ohren zu und drehte sich auf die Seite, auf der jetzt Isolde neben ihm liegen sollte. Von etwas anderem konnte er nicht träumen, an jemand anderen als an sie konnte er nicht denken.
Beim Kreuz ~249~ Die böse Ahnung
Als sich Isolde und Tristan anderntags auf der Treppe zur Kathedrale begegneten, Isolde in Begleitung Markes, der überaus heiter wirkte, grüßte Tristan, indem er die Finger seiner rechten Hand an die Krempe seines Hutes hielt und Ring- und Mittelfinger dabei kreuzte. Gleichzeitig streckte er drei Finger seiner linken Hand dem frisch vermählten Paar entgegen, sagte etwas wie, dass eines seiner Pferde krank sei, er schnell nach ihm sehen müsse und erst später zur Frühmesse käme. Unter diesem Vorwand eilte er zu den Stallungen.
Isolde hatte ihn sofort verstanden, obwohl keines der Zeichen verabredet war: in der dritten Mittagsstunde am Kreuz hinter der Kapelle, in der die Gebeine König Georgs beigesetzt waren. Dort gab es ein dichtes Gebüsch, hinter dem sie sich verstecken konnten.
Nach außen hin grüßte sie Tristan freundlich wie immer, in ihrem Innern jubelte sie und wünschte nichts mehr, als ihn wiederzusehen.
Tristan begab sich tatsächlich in den Stall mit den königlichen Pferden, ging aber bald zurück zur Kathedrale und setzte sich nicht unweit des Königspaares auf einen Stuhl, den ihm Brangaene auf seine Anweisung hin frei gehalten hatte.
»Es ist alles gut gegangen«, flüsterte sie ihm plötzlich während der Messe zu. Tristan erschrak darüber, dass die Zofe Isoldes sich so freimütig gegen sein Ohr beugte. Dann raunte sie ihm zu: »Ich habe es mit einem König getan!« Sie konnte eine Miene der Überlegenheit nicht vermeiden. Tristan tat so, als hätte er nichts gehört, und stand auf, als alle aufstanden, um vom Bischof den Segen entgegenzunehmen.
Als die Gläubigen die Kathedrale verließen, drängelte sich Brangaene erneut an ihn heran. »Mit einem König!«, hörte er ihre geflüsterten Worte und dann ihr Lachen, mit dem sie sich einer anderen Zofe zuwandte und laut sagte: »Was für einen schönen sonnigen Tag doch Gott unserem Hochzeitspaar beschert!« Diese andere Zofe war Helen, die Magd. Tristan war sich sicher, dass diese auch die anderen Worte gehört hatte, er spürte es an den Blicken, die sie ihm zuwarf.
Er mochte diese Frau, wenn auch nicht ihren Mann, den Jagdmeister. Und er fragte sich, wie zwei so unterschiedliche Menschen zusammengekommen waren. Oder hatte er sich nur in seinem Urteil über sie geirrt? Er wusste nichts über die Herkunft Helens. Die Familie Meister Eardweards, so viel war ihm bekannt, stand schon seit Generationen in königlichen Diensten. Aber Helen? Hatte er der Magd nur wegen ihres angenehmen Äußeren den Vorzug gegeben?
Tristan grübelte. Als er am Nachmittag Isolde hinter dem Kreuz Jesu traf, wo sie sich im Gebüsch versteckten, sich liebten und wohl hundertmal küssten, kam er auf diese Helen zu sprechen. Ob sie vielleicht etwas belauscht haben könnte.
»Wie kommst du darauf?«, fragte Isolde. »Die Einzige, die über alles Wissen hat«, sagte sie auf Eruisch, »ist Brangaene.«
Sie sprach diesen Namen so leicht und selbstverständlich wie immer aus, doch plötzlich sah sie Tristan erschrocken an. »Wenn Brangaene …«, stotterte sie, »dann weiß auch Helen …, und dann wissen es alle!« Sie schlug die Hände vors Gesicht.
Auch Tristan fuhr der Schrecken in die Glieder. Er erinnerte sich an die Worte, die er während der Messe von Brangaene gehört hatte: »Mit einem König!«, und er erzählte Isolde davon.
»Mein Gott!«, sagte sie und blickte mit aufgerissenen Augen zu Boden, als sähe sie das Unheil, das von diesem Satz ausging, bereits vor sich. »Ich muss etwas unternehmen«, stammelte sie, »etwas, zu dem ich aber
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