Tristan
Stalljunge. Nun hörte er nach vielen Jahren wieder einen Ausspruch, der nur von druis benutzt wurde.
Er beugte sich zu Brangaene hinunter und begann, leise auf Eruisch auf sie einzureden. Sie erzählte ihm, dass die junge Königin wohl keinen aus ihrer Sippe mehr um sich haben wollte. Deshalb müsse sie sterben.
Das müsse sie nicht, sagte Randow, packte kurzerhand einen der Wachhunde und stieß ihm den Fänger zwischen die Rippen. Er schnitt ihm die Zunge aus dem Maul, wickelte sie in ein Tuch Brangaenes und befahl Ferris, ihr auf einen Baum zu helfen, damit sie keine Angst vor Bären, Wölfen oder gar einem wild gewordenen Eber, einem torc, haben musste.
Im Galopp ritten die beiden Knechte zur Burg zurück. Randow schickte Ferris zu den Ställen, er selbst wollte allein mit der Königin sprechen. Als er sich an ihrer Tür meldete, war sie gerade dabei, zu dem Saal zu gehen, in dem Marke das Abendessen mit ihr einnehmen wollte.
Randow gab der Königin das Tuch. Sie schlug es auf und sah die Zunge auf ihrer Hand liegen. Sofort brach sie in Tränen aus, wich in ihr Gemach zurück und zog Randow mit sich hinein in den dunklen Raum.
»Ihr habt sie also getötet, ihr Unmenschen!«, sagte sie mit erstickter Stimme.
»Der Auftrag…«
»Ich werde euch beide hängen lassen. Ihr seid Mörder!«
»Aber Ihr selbst…!«
»Ich? … Ich bin die Macht!« Sie stieß dieses Wort aus wie eine Verzweifelte und klammerte sich daran, da sie fühlte, dass sie ein Unrecht begangen hatte. »Könnte ich doch alles ungeschehen machen!« Sie begann zu weinen und laut zu schluchzen.
»Wir haben sie nicht getötet«, sagte Randow schließlich auf Eruisch.
Als Isolde diese Worte in ihrer Sprache hörte, erstarrte sie und musste sich setzen. Mit den Händen vor den Augen hörte sie an, was Randow ihr berichtete. Sie ließ sich die Worte Brangaenes über das weiße Kleid mehrmals wiederholen. Nichts hatte sie preisgegeben! Und war jetzt mutterseelenallein in einem finsteren Wald! Sie selbst, Isolde, hatte sich verraten!
Da sah Isolde zum ersten Mal dem Knecht ins Gesicht. »Randow«, fragte sie »ist das dein Name?«
Der Knecht nickte.
»Bring sie mir wieder! Nimm dir Gehilfen und Fackeln, so viele du brauchst. Wenn jemand euch fragt, sagt, die eruische Zofe hätte sich beim Kräutersuchen verlaufen. Geh jetzt gleich los, sofort. Du und der andere - ihr bekommt euren Lohn. Aber hol sie mir zurück!«
Tief in der Nacht brachten sie die angeblich Verschollene auf die Burg. Lange lagen sich Brangaene und Isolde in den Armen, wollten sich nie wieder trennen.
Brangaene verzieh ihrer Herrin.
Isolde weinte und bedauerte ihr Misstrauen zutiefst. Als sie schließlich in ihr Gemach zurückfand, sah sie im Schein einer der dicken Kerzen das Tuch liegen, in das noch immer die Zunge eingewickelt war. Voller Entsetzen nahm sie es an sich, eilte über Treppen und steinige Wege zur Burgmauer hinauf und warf es von dort über die Zinnen in die abgründige Nacht der abscheulichen Finsternis ihrer eigenen Tat.
Siebzehntes Buch
DIE LUST AN DER TÄUSCHUNG
Kapitel 252-261
Brangaenes Not ~ 252 ~ Ein Zimmer für zwei
Sobald sie Brangaene wieder wie eine Schwester an ihrer Seite wusste, ging es Isolde nur noch darum, alle freie Zeit, die Markes königliche Verpflichtungen ihr für sich selbst erlaubten, zu nutzen, um mit Tristan zusammenzutreffen. Ob in einer Kemenate oder im Gebüsch hinter einem Hühnergehege: Isolde und Tristan fanden immer neue Möglichkeiten für ihr Beisammensein.
Brangaene hatte schon mehrfach versucht, ihr Kräuterwissen auszunutzen und Elixiere herzustellen, die den Liebesdrang der beiden hemmen könnten, doch nichts schien gegen das zu wirken, was Königin Isolde ihrem Trank beigegeben hatte.
Brangaene war verzweifelt. Die Königinmutter wusste sicher ein Gegengift. Doch wie sollte sie vom fernen Britannien aus an sie herankommen? Die Zofe verfasste Botschaften, ließ sie durch Handelsschiffe, die nach Irland unterwegs waren, überbringen, erhielt aber nie eine Antwort. Isolde und Tristan liebten sich bei jeder Gelegenheit, die sich ihnen bot, und Brangaene musste unentwegt auf der Hut sein, dass sie nicht bei ihren heimlichen Treffen ertappt wurden. Die Liebe derer, die sie umsorgte, wurde zu einer Sorge für sie selbst, die sie zunehmend als unerträglich empfand.
Zu dieser Zeit geschah es, dass die Sachsen versuchten, über Danmark nach Britannien vorzurücken. Tintajol war noch nicht in Gefahr, aber
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