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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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festgefroren.
    Tristan versuchte, von der Klippe aus einen Überblick zu gewinnen. Dann ritt er im Rücken von Markes Soldaten zu einem niedrigen Kiefernwald, band dort sein Pferd an und trat unbewaffnet zwischen den Bäumen hervor an den Strand. Was er von der Klippe aus nicht hatte sehen können, stand ihm jetzt dicht vor Augen. Die Flut hatte noch nicht eingesetzt, weshalb Gandin nicht auslaufen konnte. Direkt neben dem Schiffssteg hatte er das Zelt aufbauen lassen, in dem er zusammen mit Isolde saß. Tristan schritt, als hätte man ihn rufen lassen, an den beiden Wachposten vorbei darauf zu und trat ein.
    »Bei der Göttin Danu«, sagte er auf Eruisch, »was für eine traurige Gesellschaft. Ihr wollt doch nicht etwa nach Erui, meiner Heimat, auslaufen und einen fili hier am Strand des finsteren Britannien zurücklassen? Was sind das für Reiter da draußen? Warum weint die Jungfrau?«
    Gandin war von dem plötzlichen Auftreten Tristans so überrascht, dass ihm nicht einmal der Gedanke kam, nach seinen Wachleuten zu rufen, um den Mann zu überprüfen, wer er sei. Er sah ihm auch nicht ins Gesicht, staunte nur über die scheckige Spielmannskleidung und das seltsame Instrument, das er unterm Arm trug, und hörte seine unbefangen vorgebrachten Worte. »Wie ist dein Name?«, fragte er verdutzt.
    »Nartist von Leonac«, sagte Tristan mit einer übertriebenen Verbeugung.
    »Nie von dir gehört.«
    »Kann auch nicht sein, mein Herr. Seit Jahren schon bin ich auf Wanderschaft durch die halbe Welt von Colonia nach Sicilia und zurück. - Ist sie in Trauer?« Er deutete auf Isolde. Sie saß in einer Ecke, halb zugedeckt von Tüchern, unter denen ihr prunkvolles, silberdurchwirktes Kleid hervorschaute, schluchzte mit einem Stoßseufzer auf und verfiel in ein meckerndes Schluchzen und Weinen, das ebenso gut ein kaum zu unterdrückendes Lachen hätte sein können.
    »Seit wir hier sind und auf die Flut warten, heult sie so!« Gandin wandte sich zu Isolde um, fasste sich in seinen Bart und stand unbeholfen und schwerfällig auf.
    »Was gibst du mir, wenn ich sie zum Lachen bringe?«, fragte Tristan mit kecker Stimme.
    »Mein bestes Kleid«, sagte Gandin, ohne zu überlegen. »Unter Freunden?«, fragte Tristan. »Ritterliches Wort!« Gandin klang aufrichtig.
    Tristan nahm seine Laute und begann zu singen. Zuerst zwei Lieder, die sehr traurig waren, von einem geliebten Vogel, der seinem Käfig entfloh und nicht wiederkehren wollte; von einem Bauern, der Kürbisse anbaute, die innen taub waren, als er sie zur Ernte aufschnitt. Dann wechselte er die Farbe seiner Melodien, und Isolde horchte auf. Tristan sang das Lied von Narziss, der sich in sein Echo verliebte, und von Echo, die sich immer wieder hören wollte, bis Narziss nicht mehr wusste, ob er das Echo von Narziss war, und Echo nicht mehr wusste, ob sie ein Gesicht hatte. Dieses Lied der Verwechselungen hatte Tristan Isolde schon einige Male vorgesungen, und immer hatte er sie damit erheitern können. Es gelang auch diesmal. Gandin war ebenso erstaunt wie entzückt darüber.
    »Die Flut kommt«, schallten in diesem Moment die Worte der irischen Schiffsleute. »Beeilt euch!«
    »Du hörst«, sagte Gandin.
    »Ihr habt mir etwas versprochen«, erwiderte Tristan.
    »Aber ja, und ich halte mein Wort. Willst du diesen prächtigen Mantel. Ich gehe auch nackt an Bord meines Schiffes. Es macht mir nichts aus.«
    »Ein schöner Mantel«, sagte Tristan - und sie wurden wieder unterbrochen. Ein Schiffsmann erschien. »Ritter Gandin«, sagte er in eindringlichem Ton, »wir haben gehört, Ritter Tristan sei auf dem Weg, zurückgekehrt von der Jagd, Ihr wisst, dass er schon Morolt erschlagen hat. Wir sollten gleich aufbrechen. Ein Zweikampf…«
    »Sei still!«, sagte Gandin zu dem Schiffsmann. »Mach zum Ablegen bereit, ich komme.« Darauf wandte er sich an Tristan: »Welches Kleid willst du haben, entscheide dich, du siehst, ich habe wenig Zeit.«
    »Dieses hier«, sagte Tristan, ging zu Isolde hin, streifte ihr die Decken von den Schultern ab, hob sie auf in seine Arme und ging auf den Zeltausgang zu, bei dem Gandin stand. »Ich nehme dieses Kleid hier mit allem, was darin ist, denn beides ist schwerlich voneinander zu trennen. Ich handle nach dem Recht, das du selbst für dich geltend gemacht hast. Das Recht der Worte und das Recht der Musik. Richte deiner Königin in Erui aus, dass sie das Spiel verloren hat.«
    Gandin war wie erstarrt. Die Schiffsleute riefen ihn. Nun, da er an ihm

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