Tristan
auch die anderen, reichlich. Helen war abgestellt zum Ausschank des Weins, hatte schon mehrmals Eardweard, ihrem Mann, zugezischelt, er solle maßhalten, es gebe auch noch sie und die Kinder und nicht nur Hirsche und Fasane. Doch die Stimmung im Kleinen Speisesaal wurde immer ausgelassener, das Gelächter ungezügelt und das Jojojohei! zum Gebrüll.
Tristan fühlte sich unwohl in der lauten Gesellschaft und entfernte sich unauffällig. Kaum war er im Flur, hörte er Schritte hinter sich: Helen lief ihm nach. Er blieb stehen. Sie sah ihn mit großen Augen an.
»Helen, was ist?«, fragte er besorgt und dachte, mit ihrem Mann oder den Kindern sei etwas geschehen.
»Es wird geredet«, sagte sie leise.
»Was wird geredet?«
»Über dich und die Königin.«
Der freundschaftliche Umgangston störte Tristan, über die Nachricht erschrak er.
Bevor er nachfragen konnte, stieß Helen hastig hervor: »Nehmt euch in Acht. Es wissen schon alle. Die einen freuen sich für dich, die anderen hassen dich umso mehr. Man will euch Fallen stellen, damit man euch entdeckt und du vom Hofe verschwindest oder dir gar der Kopf abgeschlagen werden kann. Die Königin kann Marke keinen Erben schenken, und du sollst Schuld daran haben. Die einen sagen, es ist minne, die anderen sagen, es ist erbschleich. Wenn Marke keinen Sohn bekommt, bist du der nächste König, einer vom Festland, ein Fremder, ein Lehnsmann, einer, der es nicht verdient hat. Sei vorsichtig! Von mir hast du das alles nicht gehört. Der Truchsess und der Narr, die könnten euer Tod sein. Deren Mund steht nicht still.« Helen hielt plötzlich in ihrer kurzatmigen Rede inne, blickte Tristan voller Verlangen in die Augen, raffte ihre Röcke, wandte sich ab und rannte zum Saal zurück.
Tristan wurde schwindlig. Was die Magd ihm zugeflüstert hatte, ahnte er längst, aber es schien, als wäre es ihm erst jetzt zu Bewusstsein gekommen. Nach diesen einfachen, klaren Worten sah er alles deutlich vor sich. Ein Abgrund tat sich auf. Schweiß trat ihm auf die Stirn, und Angst befiel ihn, Angst um Isolde, nicht um sich. Wenn sie so weitermachten, würde das bedeuten, dass er diejenige, die er über alles liebte, mehr und mehr in Gefahr brachte.
Marke konnte nicht anders, als sich gegen die Gerüchte zu wehren, um Herr und König zu bleiben und sich Respekt zu bewahren. Erst jetzt fiel Tristan ein, wie überaus häufig in den letzten Tagen Barone aus den umliegenden Grafschaften Cornwalls ihren Besuch angekündigt hatten. Dem Protokoll nach handelte es sich immer nur um die Besichtigung der neuen Burganlagen, Marjodô war ständig mit den Lordschaften und Marke unterwegs, es wurden Mahlzeiten gereicht und Gespräche geführt, die Herren wollten wissen, wohin ihre Abgaben flossen. Sie wollten Sicherheit, ein intaktes Königshaus, auch im Innern des Gefüges. Dann reisten sie schnell wieder ab. Marke blieb zurück und winkte Tristan mit einem müden Lächeln zu, als wäre auch sein Neffe nichts als ein geduldeter Gast.
Tristan fand in dieser Nacht kaum Schlaf. Er wälzte sich auf seinem Lager hin und her und war froh, dass Marjodô, der erst spät zurückgekommen war, seinen Rausch ausschnarchte. Je lauter, desto besser, dachte Tristan.
Wie aber sollte er sich verhalten? Die Königin meiden? Das schien ihm die einzige Möglichkeit. Tempore lentium est vulnus meum, hatte Augustinus in seinen Bekenntnissen geschrieben, time heals all wounds, wie sie in Britannien sagten. Auf diese Weisheit wollte Tristan bauen.
Von nun an verbot er es sich, in Isoldes Nähe zu weilen. Wenn er sie gemeinsam mit Marke erblickte, wandte er sich ab oder verließ gar den Raum. Brangaene, die von Isolde gesandt wurde, um sich nach dem seltsamen Verhalten ihres Geliebten zu erkundigen, schickte er ohne Antwort wieder weg. Und als er eines Abends mit Marke in einer der Essstuben allein saß und der König ihn fragte, was sein Neffe denn während all der Tage, als er auf der Jagd war, gemacht habe, antwortete Tristan frei heraus, er habe für seinen König gebetet, zusammen mit der Königin in einem abgeschiedenen Hain unter einer mächtigen alten Ulme. Denn es gäbe auf Tintajol keinen, für den man mehr die Fürsorge Gottes erbitten könnte als für ihn, Marke, König von Cornwall.
Marke war gerührt über diese Worte und bedankte sich dafür, bemerkte aber anschließend, dass er sich Sorgen um ihn mache. »Du bist doch ein junger Mann«, sagte er, »voller Kraft in deinen besten Jahren. Denkst du denn nie
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