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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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daran, dich einmal umzuschauen unter meinen Nichten oder den Töchtern der Lords? Ich sehe dich immer allein, höchstens mal mit einer Magd tuscheln. Schön und gut, das sei dir vergönnt. Der Jagdmeister hat schon lange Angst um seine Frau, deren Augen auf dich größer sind, als dass sich ihr Hunger durch Blicke stillen ließe. Aber es gibt doch auch andere, Gleichgestellte. Es wäre mir eine Freude, wenn du in meinem Auftrag eine Reise durch unsere Grafschaften machtest. Dabei lernst du die Herrschaften und ihre Töchter kennen und auch die Besitztümer, die Landschaften - mein Land! Such dir ein paar Reitknechte aus und mach dich auf den Weg. Boten werden vorausgeschickt, damit du auf Burgen und Gütern wie an meiner statt aufgenommen wirst.«
    Gehorsam und weil sie seinen eigenen Vorsätzen entgegenkam, folgte Tristan der Anweisung seines Oheims. Die Reise wurde vorbereitet, zwei Knechte und Pferde ausgesucht, Kleidung zusammengestellt. Dies dauerte einige Tage. An keinem von ihnen bekam Tristan Isolde zu Gesicht. Sein Herz weinte jede Nacht, die er noch auf Tintajol verbrachte. An einem klaren sonnigen Morgen ritt er aus der Burg, nicht wissend warum, nicht wissend, wohin. Er hätte auch aufs Meer hinausfahren können, um einen Monat lang vor der Küste in einem Strudel zu treiben.
     
    Unterwegs ~268~ »Cup« und Kälte
     
    Selten hatte sich Tristan so gelangweilt wie zu Beginn dieser Reise. Er hatte keinen Blick für die Hügel und Wälder, für Sonnenuntergänge oder die Landschaft, wenn sie aus Nebelschwaden auftauchte. Die Burgen, die er aufsuchte, waren geschmückt für seinen Besuch, die besten Mahlzeiten wurden aufgetischt, und sich gegenüber sah er nicht selten melancholisch und verträumt dreinblickende junge Frauen in den allerschönsten Kleidern. Aber er empfand nichts für ihren gepuderten Liebreiz, für glänzende Stoffe und nicht einmal für die anmutige Herzlichkeit, die man ihm bisweilen entgegenbrachte. Er konnte an niemand anderen als an Isolde denken. Die Locke ihres Haars, die er in einem Umschlag bei sich trug und die er nachts daraus hervorholte, um sich mit ihr seine Wange zu streicheln, bedeutete ihm alles Glück und verursachte in ihm das Gefühl einer endlos währenden Sehnsucht.
    Wenn er aufbrach, um zur nächsten Grafschaft zu reiten, verabschiedete er sich fröhlich von seinen Gastgebern, weil für ihn jedes Weiterkommen ein Schritt zurück zu Isolde bedeutete. Kaum hatte er aber die Burg verlassen, trübte sich sein Blick ein, und die Knechte dachten manches Mal, er sei auf dem Rücken seines Pferdes eingeschlafen.
    Oft kamen sie an ärmlichen Hütten vorbei, die sie zu meiden versuchten, weil nur Gejammer und Bettelgeschrei aus ihnen hervordrang. Die Mütter schickten ihre Kinder, die in Lumpen steckten, an den Zaun oder den Wegrand, damit sie um Brot oder Münzen flehten. Wenn sie den Pferden zu nahe kamen, wurden sie von den Reitknechten vertrieben und mit Lanzen zurückgedrängt. Tristan nahm dies alles nur aus den Augenwinkeln wahr. Seine Ohren schienen verschlossen, denn er hörte die bittenden Rufe ebenso wenig wie die harschen Worte seiner Mannen. Nur ein einziges Mal, als ein halb nacktes Kind sich direkt vor die Hufe seines Pferdes warf, ein Reitknecht gleich zur Stelle war, das Kind am Fuß packte und es durch den Schlamm an den Wegrand schleifte, gebot Tristan Einhalt. Er schickte die Knechte fort, stieg ab und drückte dem Kind zwei silberne Groschen in die schmutzige kleine Hand.
    Dass er etwas von sich abgegeben hatte, machte ihn freier auch in Gedanken. Er achtete jetzt mehr darauf, was am Wegrand lag, sah die Armut, und der Anblick tat ihm weh. Zu seinem Schmerz, der sich in ihm durch die Ferne von Isolde mit jedem Reisetag mehr ansammelte, gesellte sich eine tiefe Kümmernis über den Zustand, in dem die Bauern und Knechte, die Alten, die Frauen und ihre Kinder in diesem Land leben mussten. Er sah Verstümmelte, Weiber ohne Zähne, Mädchen, denen schon die Haare ausfielen, und Jungen mit Köpfen voller Grind. Andere hatten verdrehte Gliedmaßen, oder sie gingen auf Krücken, die sie sich aus Astgabeln zurechtgeschnitzt hatten. Tote lagen am Weg, niedergemetzelt von Räubern, Schweine wurden verbrannt, weil sie die Pest hatten.
    Der Seelenschmerz über dieses Elend wuchs in Tristan und überdeckte bisweilen seinen Kummer um die ferne Geliebte. Erreichten sie nach einem langen Tagesritt den Park eine Barons, und trat er in hell erleuchtete Zimmer mit Teppichen

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