Tristan
als hundertzwanzig Tage später war sein König tot.
Die Waffen ruhen ~56~ Ein Troubadour
Blancheflur sah das, was geschah, als Strafe an, die über Riwalin und sie gekommen war, weil sie aus Liebe zu dem schönen Normannen das Recht missachtet hatte, das Recht vor Gott und dem König von Cornwall. Riwalin war nicht für sie bestimmt, und gleichzeitig gab es keinen anderen für sie. Sie war vom Weg abgekommen, hatte sich verirrt, Gefühle hatten ihre Handlungen bestimmt, Liebe und Sehnsucht. Nun wurde sie von Gott dafür bestraft.
Zugleich ahnte sie, dass sie ihren Bruder nie wiedersehen würde. Sie war voller Schuld und doch nur ihrem Herzen gefolgt. In ihr wuchs ein Kind heran, sie spürte es jeden Tag, es bewegte sich und stieß ihr gegen den Bauch. Manchmal freute sie sich darüber, weil sie sich dann nicht so allein fühlte, dachte aber auch an das Kind und stellte sich vor, dass es sich dagegen wehrte, in ihr gefangen zu sein. Gefangen und allein, wie sie selbst es war.
Wann schon sah sie einmal ihren Gemahl! Wenn er von kleinen Gefechten an den Grenzen zur Burg zurückkehrte, musste sie ihm oft die Wunden verbinden, die er an Armen und Beinen hatte. Dann jammerte Riwalin und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Blancheflur redete beruhigend auf ihn ein, strich die Kräuterpaste auf das aufgerissene Fleisch und umwickelte es mit Tüchern. In der Nacht fieberte Riwalin. Kaum graute der Morgen, ritt er schon wieder davon. Er gestand seiner Frau, dass er den Feind nicht schlagen könne, er gestand es ihr und verzweifelte fast. Könnte er doch König Marke um Hilfe bitten!
»Er ist mein Freund«, sagte Riwalin zu Blancheflur, »aber auch dein Bruder. Er würde dich töten lassen, wenn er wüsste …« Daraufhin schwiegen sie sich an und lagen sich in den Armen. Und wieder ritt Riwalin aus dem Tor hinaus und kehrte erst Tage später zurück, zerschunden, ermüdet, entkräftet. Nachts lag er auf der Bettstatt und wand sich vor Schmerzen, die er im Rücken und in den Beinen spürte. Manchmal kam er dadurch wie aus Versehen mit dem Kopf auf Blancheflurs Leib zu liegen. Dann schien er zu lauschen. Es war, als ob der Herzschlag seines ungeborenen Kindes ihn beruhigte. Bevor er einschlief, küsste er Blancheflur. Auf ihren Lippen schmeckte sie sein Blut, das sich mit dem Speichel mischte. Auch sie küsste ihn, drückte ihn an sich, ihren Mann, den sie liebte. Bis in meinen Tod, schwor sie sich.
Zur Erleichterung aller kündigte Rual eines Tages an, dass es einen Handel mit Morgan gäbe, der mindestens zwei Monde halten sollte, so lange fänden keine Kämpfe statt. Eine trügerische Ruhe trat ein. Riwalin, Rual und all die anderen Ritter konnten neue Kräfte sammeln.
Mit der Ruhe entstanden auch Sorgen. Das Meer tobte in diesen Tagen, Schiffe konnten nicht landen, es gab keinen Nachschub an Waffen. Von der fränkischen Grenze kehrten Boten zurück, um zu vermelden, die Aussicht auf fremde Truppen oder Söldner würde schwinden. Riwalin und die Seinen waren ratlos. Blancheflur lenkte sich in diesen traurigen Tagen mit der Ordnung des Hausstands ab. Da wurde eines Mittags Besuch angekündigt.
Ein Troubadour war auf die Burg gekommen und wollte vor den herre singen und die neuesten mcere erzählen. Der Mann war von mittlerem Alter, hager und sein Bart ungepflegt wie bei den meisten Fahrenden. Er behauptete, unlängst auf Tintajol gewesen zu sein, einer engelischen Burg, wie er erklärte, da er nicht annahm, dass jemand sie kenne. Blancheflur geriet bei dieser Nachricht in so große Aufregung, dass sie sofort nach Riwalin schickte. Beide vermuteten, der Sänger könne ein Spion Markes sein, deshalb wollte Riwalin ihn aus der Burg verbannen.
»Er könnte misstrauisch werden«, warf Blancheflur ein. Riwalin gab ihr recht. Es wurde vereinbart, dass Blancheflur von allen nur mit »Blan« angesprochen werde, damit ihr Name sie nicht verriete. Außerdem sollte sie während des Vortrags einen Schleier tragen.
Die schöne Isôt ~57~ Zwei goldene Heller
Der Troubadour nannte sich Lieven van Dolmen. Riwalin fragte ihn, woher der Name stamme. Er sei flämisch. Erfunden ist er, dachte Riwalin. Lieven verbeugte sich. Wahrscheinlich hatte er sich die Gesten des Umgangs, wie sie am Hofe üblich waren, abgeschaut und ahmte sie nach, um seine wahre Herkunft zu verschleiern. Schöne Frauen konnten ihm nichts anhaben, Lieven liebte die Männer.
In Yella hatte er einen Freund gefunden, der ihn in die Burg
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