Tristan
Hellern?«
»Scher dich zum Teufel!«
»Aber die Königin …!«
»Du sollst dich zum Teufel scheren!« Jetzt wandte sich der Wachhabende Lieven zu und stellte sich breitbeinig vor ihm auf.
Lieven umklammerte seine Harfe und begriff, wie vergeblich es war, hier zu seinem Recht zu kommen. Er verdrückte sich nach draußen auf den Hof. Dort fand er alle Türen verschlossen. Auf der Suche nach einem Schlafplatz ging er die Häuser ab, versuchte, in den dahinter gelegenen Höfen ein offenes Tor zu einem Stall zu finden. Nirgends schien es für ihn einen Unterschlupf zu geben. Nach einem kurzen Rundgang fand er sich wieder beim Brunnen ein. In den Turmfenstern über dem Eingang des Haupthauses brannte kein Licht mehr.
Lieven spürte die Kälte. Ratlos schaute er sich um. Er musste wieder an die zwei goldenen Heller denken, die ihm die Königin versprochen hatte. So ging er, sich selbst bemitleidend, durch eine der Gassen hinter der Burg und gelangte an die Außenmauer. Er sah zwei Soldaten im Schein einer Fackel, die dort Wache hielten, und drückte sich an Bretterverschlägen entlang, von denen einer plötzlich nachgab. Lautes Hühnergegacker empfing ihn. Wenig später stand ein Wachtrupp vor ihm, zerrte ihn aus dem Stall, in den er geraten war, und führte ihn ans Burgtor. Bevor sie es hinter ihm wieder schlossen, gab ihm einer der Wachhabenden noch Tritte in den Hintern und sagte lachend, das seien die zwei goldenen Heller, nach denen er verlangte. Fluchend stolperte Lieven den Weg, der zur Burg führte, hinab, bis er den Kiefernwald erreichte. Dort ruhte er aus und verwünschte ganz Parmenien.
Unruhe ~58~ Sorgen
Blancheflur konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Riwalin war nicht zu ihr aufs Lager gekommen, er hatte sich im Vorderhaus hingelegt, um noch vor dem Morgengrauen auszurücken und an der fränkischen Grenze auf fünf Dutzend Angeheuerte zu warten, die sich dort, in der Nähe von Village, versammeln wollten.
Rual blieb währenddessen auf der Burg. Er schlief neben Floräte tief und fest auf dem Lager in der Kemenate mit der Feuerstelle, genau dort, wo einst Tristan sein Nachtlager haben würde. Floräte hörte das leise Schnarchen ihres Mannes. Als wüsste sie von Blancheflurs Unruhe, verharrte sie mit offenen Augen auf ihrem Bett. Anfangs versuchte sie, sich zu beschwichtigen: Zu viel des Weines hatte sie getrunken. Blancheflurs aufgerissene Augen, die sie gesehen hatte, als der Spielmann von dem irischen Rotschopf berichtet hatte, gingen ihr nicht aus dem Sinn. Wie war es möglich gewesen, dass Markes Schwester so darauf reagierte, auf die bloße Erwähnung eines neugeborenen Kindes in einem fremden Land?
An diesem Abend war Floräte noch kurz bei Blancheflur gewesen, hatte sie in ihr Zimmer begleitet und wahrgenommen, dass die junge Frau Schweißperlen auf der Stirn hatte. Ihr Atem ging kurz, und Floräte wollte Elbeth schon schicken, einen Tee aufzusetzen. Blancheflur lehnte ab. Flatternde Nerven seien doch ganz normal, wenn man ein Kind erwarte. Das habe sie bei ihrer Base auch erlebt, die sie in der Nähe von Tintajol so oft besucht habe. Nein, etwas ganz anderes gehe ihr im Kopf herum.
»Was meinst du?«, fragte Floräte und reichte ihr den leichten, reich mit Ornamenten bestickten Mantel, den Blancheflur gern über ihrem Nachthemd trug und aus Cornwall mitgebracht hatte.
»Philene und Verna«, sagte Blancheflur.
»Deine beiden Zofen - ja - wo sind sie eigentlich?«
»Sie werden sich bei den Knappen aufhalten.«
»Sie sollten hier sein, bei dir!« Florätes Stimme nahm einen ernsten Tonfall an.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Blancheflur und wischte sich über die Stirn. »Ich selbst war es, die ihnen freigegeben hat für den heutigen Abend. Sie kommen mir vor wie zwei Tiere, die sich nicht zähmen lassen.«
»Sie gehören an den Hof deines Bruders.«
»Das ist es, was mich quält«, sagte Blancheflur und sank auf ihr Lager. »Ich habe ihnen unrecht getan.«
»Dann schicken wir sie zurück und setzen sie wieder ins Recht.«
»Du meinst, das geht?« Blancheflur setzte sich im Bett auf und sah Floräte an. Im selben Augenblick kamen ihr Zweifel. »Sie werden Marke sagen, wo ich bin!«
»Aber nein!«, beschwichtigte Floräte sie. »Die beiden werden ihr Wort gegenüber einer Königsschwester nicht brechen. Sie werden sagen, sie seien bei Verwandten gewesen, hätten einen kranken Vater oder Onkel pflegen müssen. Verlass dich auf mich. Schon morgen läuft ein Handelsschiff aus.
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