Triumph des Himmels: Historischer Roman (German Edition)
machen.
Wenn er nur endlich aus dieser beengten finanziellen Lage herauskäme. Sein Offizierssold reichte nicht einmal aus, den Haushalt in Berlin standesgemäß zu führen. Er hatte Schulden machen, Verpflichtungen eingehen müssen, um in dem Stil weiterzuleben, den er gewohnt war. Wäre er noch unverheiratet, hätte er sich einschränken können, aber mit Beatrix an seiner Seite …
Mit steifen Gliedern schritt er die breite Treppe hinunter und nahm im Frühstückssalon Platz. Ein paar ausgeschlafen wirkende Herren saßen bereits bei Kaffee und üppigen Speisen zusammen und unterhielten sich lebhaft über Motoren und Streckenführung. Der Oberst ließ sich einen Tisch am Fenster zuweisen, gab seine Bestellung auf und wollte nach der Zeitung greifen.
»Guten Morgen, Herr Oberst«, wurde er begrüßt. »Gestatten, dass ich mich zu Ihnen setze?«
Es war ihm nicht sonderlich recht, aber er konnte den schweren, gewichtigen Herrn wohl kaum fortschicken.
»Morgen, Thalheimer.«
Mit einer Handbewegung deutete er auf den zweiten Sessel am Tisch.
»Recht angenehmes Hotel, nicht wahr?«
»Komfortabel.«
Von Braunlage faltete die Zeitung zusammen, unwillig bereit, Konversation zu machen. Thalheimer war ihm kein Unbekannter. Im Krieg hatte er bereits mit ihm zu tun gehabt, wenn auch nur am Rande. Er hatte damals die Verhandlungen mit Bayer über die Bereifung der Militärfahrzeuge geführt. Vor gut drei Wochen war Thalheimer dann wieder in seiner Dienststelle in Berlin aufgetaucht, zunächst um ein Angebot über Dichtungsringe aus synthetischem Kautschuk zu machen. Dann aber waren sie ins Gespräch über Automobile gekommen, und das Wort Rallye fiel. Man war anschließend gemeinsam essen gegangen und hatte sich lebhaft über Chancen und Möglichkeiten ausgetauscht. Der Oberst konnte es sich nicht verhehlen: Der Mann hatte ihm damals gefallen. Er gefiel ihm noch mehr, als er von seiner eigenen Reifenproduktion berichtete. Schon vor dem Krieg hatte es Engpässe gegeben – die Naturkautschukpreise waren ins Unermessliche gestiegen. Dann war im Krieg die Einfuhr völlig zum Erliegen gekommen. Einige Firmen hatten eifrigst nach einem Ersatzstoff geforscht und tatsächlich einen synthetischen Kautschuk hergestellt. Die Automobilreifen, die daraus gefertigt worden waren, hatten sich als besonders belastbar erwiesen. Dann aber war der Naturkautschukmarkt zusammengebrochen, der Preisverfall hatte Latex so billig werden lassen, dass die Reifenherstellung daraus wieder konkurrenzfähig, ja sogar billiger wurde.
Thalheimer jedoch hatte die Fertigung weiterbetrieben, wenn auch in kleinstem Maßstab. Aber er hatte vor, seine Produktion auszuweiten. Otto stimmte zu, seinen Horch zu Prüfungszwecken mit derartigen Reifen auszustatten. Auch das ein Geschenk, über das beide Parteien Stillschweigen wahren würden. Eine Empfehlung, die zukünftigen Fahrzeuge des Heeres mit Synthesekautschukreifen auszurüsten …
»Die gnädige Frau ruht vermutlich noch?«, fragte Thalheimer und schenkte sich uneingeladen Kaffee ein.
»Sie wird den Mittagszug nach Köln nehmen.«
»Eine schöne, spritzige Dame. Sie sind schon lange verheiratet?«
Oberst von Braunlage blieb ihm die Antwort schuldig, denn eben tischte ihnen der Kellner die Speisen auf. Thalheimer fiel über Bratkartoffeln und Schweinefilet her, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu essen erhalten. An ihrem Tisch schlenderte die schöne Doro Obeli mit ihrem Bruder vorbei, ein Blick voller Abscheu streifte den mampfenden Thalheimer, ein anderer, durchaus anerkennender, des Obersten Honigbrötchen. Die Zungenspitze erschien kurz zwischen den rosig geschminkten Lippen, was Otto von Braunlage die Röte ins Gesicht trieb. Er stürzte den heißen Kaffee hinunter und verbrannte sich den Gaumen.
Thalheimer hatte von dem kleinen Intermezzo nichts mitbekommen, und so legte der Oberst, kaum dass er das Brötchen aufgegessen hatte, die Serviette zusammen und entschuldigte sich.
Es wurde Zeit, dass er ein wenig an die frische Luft kam.
Wollte Gott, dass er die Rallye gewann und all diesen Verpflichtungen und Versuchungen endlich entkam.
11. WIEDERSEHEN IN PARIS
In Paris, da finden sich die Leute,
in Paris sieht sich die schöne Welt,
in Paris macht mancher seine Beute,
in Paris vertut der Mensch sein Geld.
Jacques Offenbach
I ch hämmerte auf meiner Wanderer den Bericht über den vorigen Abend herunter. Als sich die Typenhebel der Reiseschreibmaschine verhakten, entfuhr mir ein unwilliges
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