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Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx

Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx

Titel: Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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diesem Augenblick fühlte sich Trix bis in die Tiefe seiner Seele hinein gedemütigt.
    »Als ob du überhaupt Grund gehabt hättest, sauer zu sein«, maulte er. »Vielleicht, weil du am Leben geblieben bist?«
    Da reichte es Tiana endgültig! Oh nein, der edle Knappe Merc hätte auf die versöhnlichen Worte seiner Herzdame nie in dieser Weise geantwortet! »Verzeiht mir, Herzog, meine Worte waren voreilig«, zischte sie.
    »Verzeiht mir, Fürstin, meine Lebensrettung war voreilig«, antwortete Trix bitter.
    Nach einem solchen Wortwechsel voll von gegenseitigem Respekt und Verständnis blieb ihnen natürlich nichts, als sich eine Weile anzuschweigen. Wer weiß, welche Worte sich ihnen noch auf die Zunge gelegt und dann sogar den Weg über die Lippen gefunden hätten, wäre der Weg länger gewesen.
    Zum Glück brachte die nächste Biegung des Weges sie jedoch zum Smaragdschloss, genauer gesagt, zu einem bodenlosen Abgrund unmittelbar vorm Schloss, über den eine schmale Brücke führte.
    Die kein Geländer besaß.
    »Oh!«, entfuhr es Tiana, die unwillkürlich näher an Trix trat.
    Und auch Trix vergaß unverzüglich seine Kränkung.
    Selbstverständlich verlangt es einem nicht viel ab, eine schmale Brücke von zwanzig Schritt Länge zu überqueren. Selbst wenn sie über einem Abgrund liegt.
    Wenn diese Brücke aber kein Geländer hat, versetzt selbst die kurze Strecke noch den verwegensten Menschen in Schrecken.
    »Da geh ich nicht rüber!«, hauchte Tiana.
    Am liebsten hätte Trix natürlich geantwortet: »Papperlapapp! Nimm dir ein Beispiel an mir!« Aber auch er zögerte.
    »Ich könnte ein Geländer zaubern«, schlug er in recht überzeugtem Ton vor. »Nur … Das hier ist doch genau wie mit dem Becken und dem vergifteten Wasser. Wenn du nicht bereit bist, den Durst zu ertragen und an einem unbekannten Ort Wasser trinkst, erweist du dich als ungeduldig und leichtsinnig. Das heißt, du taugst nicht zum Assassinen. Das hier ist eine zweite Probe: Wenn du Angst hast, kann Aabeze dich nicht brauchen. Wenn ich jetzt ein Geländer zaubere, stellen wir uns der Probe nicht, sondern täuschen den Lehrer.«
    »Was sollen wir dann tun?«
    »Über den Abgrund schaffen wir es nicht, wenn die Brücke kein Geländer hat«, überlegte Trix laut. »Ein Geländer zu zaubern scheidet aus. Was bleibt dann noch?«
    »Na?«, fragte Tiana und fasste Trix sogar bei der Hand.
    »Den Abgrund wegmachen!«, erklärte Trix kühn.
    »Wie sollen wir das denn machen?«
    »Mit Magie!«
    »Aber das dürfen wir doch nicht!«
    »Warum nicht?« Trix zuckte die Achseln. »Die Probe besteht lediglich darin, ob wir uns trauen, diese Brücke ohne Geländer zu überqueren. Das tun wir. Nur dass anstelle des Abgrunds …« Er dachte nach. »Nur dass anstelle des Abgrunds eine flache Grube unter der Brücke liegt! In die durch ausgefeilte Kunst ein endloser Abgrund gezeichnet ist, um die Kleinmütigen abzuschrecken!«
    »Hat’s geklappt?«, fragte Tiana begeistert.
    »Ich denke schon«, antwortete Trix. »Lass uns mal nachsehen!«
    Sie näherten sich vorsichtig dem Rand des Abgrunds und lugten in die Tiefe.
    »Hut ab!«, entfuhr es Tiana.
    Statt einer Schlucht lag nun ein etwa halbmannstiefer Graben vor ihnen. Am Boden hatte ein erfahrener Künstler mit dem Pinsel einen endlosen Abgrund gezeichnet.
    Früher einmal mochte die Illusion so stark gewesen sein, dass sich kaum jemand auch nur bis zum Rand vortraute. Im Laufe der Zeit waren die Farben jedoch ausgeblichen, stellenweise abgeblättert, am Boden hatte sich Sand angesammelt, überall fanden sich Stücke vom Verputz, der vom Schloss abgebröckelt war.
    »Kommt es dir nicht auch so vor, als sei das Schloss seit Langem verlassen?«, fragte Trix beunruhigt. »Den Weg überwuchert Unkraut, der Graben ist vermüllt …«
    »Aber wer soll uns dann helfen?«, rief Tiana.
    »Gehen wir erst mal zum Schloss.«
    Sie fassten sich bei den Händen, mieden vorsichtshalber jeden Blick nach unten und überquerten die Brücke. Das Tor des Schlosses bestand aus Kupfer, das sich über die Jahre grün gefärbt hatte, und ragte dräuend über ihnen auf. An einem Haken hing eine riesige Glocke, der Klöppel lag allerdings am Boden.
    »Alles wie in alten Überlieferungen«, befand Trix. »Eine kaputte Glocke … ein verschlossenes Tor …«
    Er hob den schweren Klöppel auf und schlug mit ihm mehrmals gegen die Glocke. Das Geräusch, das die alte Bronze hervorbrachte, klang dumpf und traurig, als ob die Glocke weine und ihr

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