Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
den ganzen Weg über einhüllt, sich verzog, landete Trix lachend auf dem Boden.
»Freude!«, kicherte er. »… Götterfunken!«, brabbelte er. »… Elysium!«, rief er aus – und verstummte.
»Die Gleichung besitzt für keine natürliche Zahl eine Lösung!«, brachte Tiana lachend heraus, als sie neben ihm zu Boden fiel. »Ich habe hierfür einen wahrhaft wunderbaren Beweis gefunden, doch ist der Rand auf dem Blatt vor mir zu schmal, um ihn darzulegen!«
Die beiden starrten sich an.
»Was war das?«, fragte Tiana.
»Ich habe geglaubt, dass ich dichten kann!«, gestand Trix.
»Mir ist nur ein völlig blöder Witz eingefallen.« Tiana rieb sich die Stirn. »Aber bestimmt kriegt der einen sehr langen Bart.«
»Auch nicht schlecht«, sagte Trix. »Mein Gedicht war sehr … schön. Irgendwer war feuertrunken, ein Zauber kam auch vor und ein sanfter Flügel, der irgendwo weilte.«
»Wie romantisch«, entzückte sich Tiana. »Aber sag mal, Trix, wo sind wir hier eigentlich?«
Trix sah sich um. »In der Nähe der Schule Verborgene Natter, denke ich. Vor einem Monat …«
»Schön ist es hier!«
Der Ort war in der Tat bezaubernd. Auf der einen Seite erstreckte sich die endlose Wüste. Die untergehende Sonne tauchte den gelben Sand in ein zartes, rosafarbenes Licht, die Dünen wirkten wie sanfte Wellen.
Auf der anderen Seite erhoben sich spitze, schwarze Felsen. Normalerweise können Felsen neben der Wüste ja nicht überdauern, da der Wind sandigen Staub heranträgt, der den Stein abschleift. Im Wechsel von der Hitze des Tages und der Kälte der Nacht bersten sie. Es vergeht ein Jahrhundert, vielleicht noch eins, und die Felsen haben sich in Sand verwandelt, sind zu einem Teil der Wüste geworden.
Aber diese schwarzen Felsen ragten noch immer spitz und stechend auf, als seien sie mit einem mächtigen Zauber belegt. Auf dem Gipfel des steilsten, größten und schrecklichsten von ihnen thronte ein Schloss. Es bestand aus smaragdgrünem und gelbem Stein, ebenso stolze wie filigrane Türme sowie funkelnde Silberkuppeln krönten es.
»Die Assassinen-Schule Verborgene Natter !«, hauchte Trix. »Dort lebt der Lehrer Aabeze. Angeblich ist er noch älter als der Vitamant Evykait. Er soll schon über tausend Jahre alt sein!«
»Hast du Angst?«, fragte Tiana und griff nach seiner Hand.
»Ein bisschen«, gab Trix zu. »Aber wir sind ja Ehrendrachen, vergiss das nicht! Außerdem bin ich noch ein Zauberer. Deshalb … deshalb …«
Er erinnerte sich betrübt daran, dass in allen Legenden und Märchen die Assassinen Aabezes mühelos selbst mit den mächtigsten Zauberern fertigwurden. Und hatte nicht sogar Sua die Angst der Drachen vor diesem Mann eingestanden?
»Gehen wir«, entschied Trix. »Schließlich müssen wir erst mal den Weg da rauf finden.«
Den fanden sie erstaunlich leicht. Er begann in einer engen Schlucht und kletterte dann die Berge hinauf. Es war ein guter Weg, so breit, dass zwei vollbeladene Pferde nebeneinander Platz hatten, sollte überhaupt je ein Pferd mit aufgeschnürten Ballen zu diesem Ort gelangen und den Wunsch verspüren, diesen Fels zu erklimmen. Der Weg war mit Ziegeln ausgelegt, die über die Jahre locker geworden und ihre Farbe von saftig-gelb zu finster-rostig gewechselt hatten. Zwischen diesen Ziegeln wucherte allerdings Unkraut, was den Gesamteindruck etwas trübte.
Am Wegesrand standen Statuen, mit denen ein Wandersmann noch stärker beeindruckt – oder abgeschreckt? – werden sollte. Es gab muskelbepackte, nackte Männer, die im Begriff waren, eine Lanze oder eine schwere Scheibe zu werfen (Tiana errötete bei ihrem Anblick ein wenig und schaute rasch zur Seite) und prachtvolle nackte Frauen (worauf Trix prompt in Verlegenheit geriet), die sich die Haare kämmten oder in einen Spiegel schauten; manchmal ließ sich auch nicht mehr sagen, womit sie sich beschäftigten, hatten sie doch ihre Arme eingebüßt. Es fanden sich aber auch viele unschuldige Standbilder, denen fast etwas Neckisches anhaftete: Ein kleiner Junge, der gerade Pipi machte, ein Mädchen mit einem Fischschwanz anstelle der Beine, ein alter, bärtiger Mann mit winzigen Hörnern auf dem Kopf. Ihnen folgten Statuen, die wie aus dem Leben gegriffen schienen: ein Fischer mit einem Ruder, ein Junge, der in ein Horn blies, ein nachdenklicher junger Weiser mit einem Buch in Händen, ein Schmied mit einem Hammer auf der Schulter.
»Ich glaube, der Lehrer Aabeze ist gar nicht so schrecklich«, sagte Tiana. »Immerhin
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