Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
langes Leben ebenso wie ihr Schicksal in diesem Klagelaut mitschwängen.
»Richte dich auf eine lange Wartezeit ein«, riet Trix Tiana. »Diejenigen, die das Schloss erreichen, werden von Aabeze erniedrigenden Prüfungen unterzogen. Sie müssen tagelang ohne Essen und Wasser vorm Eingang warten. Die Schüler und Lehrer kommen immer mal wieder heraus, überhäufen sie mit spöttischen Bemerkungen, spucken sie an und gießen ihr Spülwasser auf sie.«
»Ich will aber nicht angespuckt werden!«, brauste Tiana auf.
»Das ist Teil der Prüfung«, erklärte Trix. Er dachte kurz nach und fügte dann hinzu: »Notfalls werde ich versuchen, dich abzuschirmen. Setz dich ruhig, das kann noch ewig dauern.«
Doch da knarzte das Tor. Genauer gesagt, es knarzte eine kleine, unscheinbare Tür im Tor. Sie öffnete sich und ein dunkelhäutiger, hagerer Mann mittleren Alters spähte angstvoll hinaus. Er trug einen langen Mantel und einen fettigen Turban. Erstaunt sah er Trix und Tiana an. »Wer seid ihr?«, fragte er.
»Ich bin Trix Solier und das ist Tiana Dillon«, stellte Trix sie beide vor. »Wir sind gekommen, die Kunst der Assassinen in der Schule des großen Lehrers Aabeze zu erlernen.«
»Es wird niemand mehr aufgenommen«, sagte der Mann. »Wir haben keinen Platz mehr! Stellt einen schriftlichen Antrag und zahlt für eine externe Ausbildung. Es werden euch alle notwendigen Unterlagen zugesandt. Wieso seid ihr überhaupt hergekommen? Wir haben Vertretungen in Dachrian, in den großen Städten des Königreichs und sogar auf den Kristallenen Inseln! Warum habt ihr euch nicht einfach an die Gilde der Mörder gewandt und all das in Erfahrung gebracht?«
»Extern – das kommt für uns nicht in Frage!«, widersprach Trix. »Wir sind Ehrendrachen!«
»Bitte?« Dem Mann klappte der Unterkiefer herunter.
»Wir sind Ehrendrachen!«, wiederholte Trix. »Wir machen vom Recht einer alten Vereinbarung Gebrauch und verlangen, beim großen Lehrer Aabeze höchstpersönlich ausgebildet zu werden! Bringt uns zu ihm! Unverzüglich!«
Der Mann seufzte, zog ein Taschentuch aus der Manteltasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann trat er aus dem Schloss heraus und setzte alles daran, eine stolze Haltung einzunehmen. »Mag dir der Schreck in alle Glieder fahren, du, der du eine verbotene Weisheit suchst!«, schwadronierte er. »Vor dir steht der Lehrer Aabeze, das Haupt der Assassinen-Schule Verborgene Natter !«
Trix wich zurück. »Wir haben nicht angenommen, oh großer und alter Lehrer, dass Ihr so jung ausseht.«
»Ach das«, murmelte Aabeze. »Was ist? Wollt ihr nicht doch lieber eine externe Ausbildung? Für Ehrendrachen würde ich ordentlich mit den Gebühren heruntergehen.«
Trix schüttelte den Kopf.
»Ich wäre sogar bereit, euch die Unterlagen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen! Aus Respekt gegenüber den Drachen.«
»Nein, Lehrer«, entgegnete Trix. »Wir müssen die höchste Kunst so schnell wie möglich erlernen. Damit wir den Mineralisierten Propheten besiegen können.«
Der Lehrer Aabeze wischte sich abermals den Schweiß von der Stirn. »In dem Fall«, gab er schließlich nach, »tretet ein. Für zwei so tapfere Jungen finden wir schon noch ein Plätzchen.«
»Ich bin ein Mädchen«, verbesserte ihn Tiana.
»Ein Mädchen?« Aabeze sah Tiana mit unverhohlener Neugier an. »Bei diesen Gewändern habe ich vermutet … Ein Mädchen also?«
»Unterrichtet ihr etwa keine Mädchen?«, entrüstete sich Tiana.
»Doch, schon«, versicherte Aabeze. »Nur waren die letzten Schülerinnen vor sehr langer Zeit bei uns. Gut. Wir schließen einen zweiten Umkleideraum und auch einen zweiten Waschraum auf.« Mit einem Mal wurde er verlegen und fing verzweifelt an, sich das rot angelaufene Gesicht zu reiben. »Im Übrigen darfst du an vier Tagen pro Monat den Übungen in Leibesertüchtigung fernbleiben.«
»Lehrer Aabeze«, sagte Trix. »Habt Ihr überhaupt Schüler? Ich meine hier, in der Schule?«
»Ja«, antwortete Aabeze, wenn auch nicht allzu freudig. »Einen«, presste er kaum hörbar heraus. »Jetzt kommt schon rein! Sonst fegt der Sand ins Schloss.«
»Ihr wollt uns also nicht quälen, indem ihr uns lange vorm Tor warten lasst?«, hakte Trix nach.
»Nein«, erwiderte Aabeze. »Ihr seid es, die mich quälen werden – damit, dass ich euch lange unterrichten muss.«
Im Schlosshof war es recht heimelig. Hatte Trix beim Anblick des Mülls im Graben und des abgeblätterten Putzes an den Mauern noch seine
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