Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
beleckte sich nervös die Lippen: Was, wenn Ismud die verblüffende Ähnlichkeit zwischen dem jungen Schauspieler Trix und dem frischgebackenen Favoriten Tri auffiel? Doch der Soldat blickte nicht zu ihnen herüber. Und auch Trix wurde ruhiger, als er sich inmitten der Schauspieler näher betrachtete: Zwischen seinem heutigen Ich und dem Ich von vor einem Monat bestand keine allzu große Ähnlichkeit. Trix’ Haar war so lang geworden, dass er es nach Assassinen-Art zu einem Zopf im Nacken hätte zusammenbinden können. Der frühere Trix war auch noch viel hellhäutiger, nicht ganz so hager, und seine Augen blickten wesentlich unschuldiger drein. Nebeneinandergestellt würden der alte und der neue Trix vielleicht als Brüder durchgehen – aber bestimmt nicht als derselbe Mensch.
Das wiederum nahm dem Anblick des eigenen Ichs irgendwie den Schrecken. Das bin ja gar nicht ich!, dachte er. Das ist der kleine Junge, der ich damals war. Ein Mensch verändert sich mit jedem Tag. Im Grunde leben wir gar nicht nur ein Leben, sondern Tausende von Leben, nur dass eins aufs andere folgt, weshalb wir nicht auf Anhieb bemerken, wenn das eine zu Ende geht und das andere anfängt.
»Du musst dir mal die Haare schneiden lassen«, flüsterte Tiana ihm ins Ohr und beendete damit seine philosophischen Überlegungen. »Kurzes Haar steht dir besser.«
»Mach ich«, versprach Trix, den diese Aufmerksamkeit etwas verlegen werden ließ.
»Schade, dass ich damals nicht dabei war.«
»Wieso das?«, fragte Trix erstaunt.
»Ist das denn nicht klar? Welcher Spiegel gestattet es dir schon, dich so gut von außen zu betrachten? Noch dazu in Bewegung und von allen Seiten. Dann siehst du, ob dir die Frisur steht, dein Gang anmutig ist, der Blick rätselhaft …«
Sosehr Trix auch von der Betrachtung seiner selbst gefesselt war, musste er doch zugeben, dass in Tianas Worten ein Körnchen Wahrheit steckte. Falls er ein entsprechendes magisches Objekt erstellen könnte, dürfte die Nachfrage danach bei Frauen vermutlich enorm sein!
In der Zwischenzeit hatte Ismud sein Gespräch mit den Schauspielern beendet, ihnen letzte Anweisungen gegeben und sich entfernt. Maichels Truppe machte sich an die Arbeit, die Gaffer zerstreuten sich und auch Trix und Tiana eilten davon.
»Auf gar keinen Fall darf mein früheres Ich mein jetziges sehen«, schärfte Trix ihr ein.
»Warum nicht?«
»Weil das ein Paradox wäre.«
»Wieso das?«
»Weil ich mich doch nicht gesehen habe, als ich mit dem Theater zu Abrakadasab gekommen bin.«
Tiana dachte kurz nach. »Das verstehe ich nicht ganz. Du hast dich nicht gesehen … Ja und? Was wäre so schlimm, wenn du dich jetzt siehst?«
»Aber ich erinnere mich nicht, mich gesehen zu haben!«
»Dann wirst du dich halt daran erinnern, dass du dich doch gesehen hast, es aber vergessen hast!«
»Nein, ich glaube, das geht nicht«, erwiderte Trix. »Wie sollte ich mich nicht an das erinnern, was geschehen ist?«
»So schwer ist das nun auch wieder nicht!«, sagte Tiana. »Regent Hass schafft das nach jedem Feiertag!«
»Aber ich kann das nicht!«, sagte Trix. »Was, wenn es dann zu einer Katastrophe kommt? Dass ich mich sehe und nicht sehe … Nein, mit Magie ist nicht zu spaßen!«
»Aber es wäre doch schön, wenn wir uns den Schauspielern zu erkennen geben könnten«, bemerkte Tiana. »Damit sie nachher keine Angst haben und wissen, dass alles gut endet.«
»Wir wissen doch selbst nicht, wie es ausgeht!«, widersprach Trix. »Nein, lass es uns genau so machen wie abgesprochen. Vor der Vorstellung dürfen die anderen uns nicht entdecken.«
Tiana sah noch einmal zu den Schauspielern hinüber, ehe sie sagte: »Wenn du meinst.«
Trix atmete erleichtert durch. Er hatte das vage Gefühl, gerade eben die ganze Welt gerettet zu haben.
Wer weiß, vielleicht stimmte das sogar.
Am Abend stand die Bühne, und die Soldaten hatten sich versammelt, die Aufführung anzusehen. Und sie waren gut ausgestattet! Es käme einem Menschen ja nie in den Sinn, etwas zu essen, wenn er Musik oder Gesang lauscht, denn das Schmatzen und Kauen stört beim Zuhören. Wenn ein Mensch dagegen etwas anschaut, egal was, eine Theateraufführung, Gladiatorenkämpfe oder ein Kamelrennen, dann braucht er unbedingt etwas zu essen. Und zwar nicht, weil ihn überraschend Hunger anfallen könnte, sondern einfach, um den Mund zu beschäftigen, denn das Zusehen weckt den unbändigen Wunsch zu keifen, zu schreien, zu fluchen und anzufeuern, bis einem –
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