Trix Solier - Odysee im Orient - Lukianenko, S: Trix Solier - Odysee im Orient - xx
Naschwerk sowie kristallene Gläser mit kühlen Getränken warteten. Neben dem Tisch standen angezündete Wasserpfeifen, die aber niemand zu rauchen gedachte.
»Von Kindesbeinen an habe ich meinen Vater enttäuschen müssen, was mir großen Kummer bereitete«, gestand Abnuwas. »Kaum stellte sich ein Diener täppisch an, wenn er mir das Wasser fürs Bad brachte, verlangte mein Vater von mir: ›Befiehl, dass er verprügelt wird!‹ Aber das konnte ich nicht. Der Mann hat mir leidgetan. Einmal nahm mein Vater mich mit zum Gericht, wo ein Räuber und Missetäter, der Karawanen überfallen und Händler getötet hatte, verurteilt werden sollte. Die Witwen und Halbwaisen saßen im Saal und weinten. Der Räuber mit seinem gewaltigen, roten Bart jagte allen Furcht ein und bleckte ständig die Zähne. ›Ich bereue nichts! Gar nichts!‹, hat er immer wieder gebrüllt. ›Ich werde fliehen und wieder töten!‹ Da wendet sich mein Vater an mich: ›Nun, mein Sohn, hältst du diesen Mann für einen Unhold oder nicht? Tun dir die unschuldigen Opfer leid oder nicht?‹ Und ich antworte: ›Ja, Papa, sie tun mir leid! Was für ein hässlicher Mann!‹ Voller Freude fordert mich mein Vater da auf: ›Dann gib Befehl, ihn zu bestrafen! Lass ihn in Sand eingraben, lass ihm den Kopf abhacken, es steht dir frei!‹ Ich erwidere jedoch: ›Aber, Papa, er ist doch ein Opfer der Umstände! Vermutlich sind in seiner Erziehung schwerwiegende Fehler begangen worden. Möglicherweise war sein Vater sehr streng mit ihm, hat ihn geschlagen und gedemütigt. Vielleicht war er als Junge schwach und arm und seine Altersgenossen haben ihn verspottet. All das hat sein Herz versteinert. Wir müssen ihn heilen, nicht bestrafen.‹ Meinem Vater ist der Unterkiefer heruntergeklappt. Der Räuber hat losgejammert: ›Der Thronfolger hat recht. Ich habe ein unwürdiges Leben geführt. Habt Erbarmen mit mir! Ich werde mich bessern, ganz bestimmt!‹ Daraufhin sind alle ins Grübeln geraten. Am Ende wurde der Räuber gewaschen, man hat ihm die Haare geschnitten und gute Manieren beigebracht und ihn schließlich als Soldat zu einer Karawane geschickt. Noch in der ersten Nacht hat er sich die schönen Kleider vom Leib gerissen, sich mit Dreck beschmiert und ist über die anderen Soldaten hergefallen. Es kam zu einer großen Prügelei … und er wurde erschlagen. Als ich das erfahren habe, bin ich in Ohnmacht gefallen. Mein Vater hat mich getröstet und gesagt: ›Gräme dich nicht, alle machen mal einen Fehler.‹ Doch noch unter Tränen habe ich hervorgebracht: ›Wir haben ihm nicht genügend Aufmerksamkeit zukommen lassen. Deshalb konnte er sich nicht in unsere Gesellschaft einfügen.‹ Da spuckte mein Vater aus, zog seinen Gürtel aus dem Mantel und ließ ihn mich spüren. Aber ich habe nur gefleht: ›Papa, bitte, sei vorsichtig, Papa, nicht, dass du dich noch verletzt!‹«
Ian saß mit offenem Mund da, Trix fasste sich an den Kopf.
»Das ist die reine Wahrheit«, bestätigte Sutar. »Genau so hat es sich zugetragen. Kurz bevor der alte Sultan von uns schied, hat er den Wesir und mich zu sich ans Sterbebett gerufen und gesagt: ›Was machen wir nun? Mein Sohn ist klug, anstellig und schön. Er fürchtet sich vor nichts. Aber in seinem Herzen nimmt das Gute einen allzu großen Raum ein. Diese Güte würde unseren Staat töten und in Blut ertränken. Deshalb bleibt uns wohl keine andere Wahl, als ihn zu opfern – und damit zahllose Untertanen zu retten.‹ Nach diesen Worten hat der Sultan seinen Geist ausgehaucht.«
»Warum hat er Abnuwas nicht einfach den Thron verweigert?«, fragte Trix. »Er hatte doch noch zwei Söhne.« Kaum merkte er, dass er sprach, als sei der Sultan nicht anwesend, warf er Abnuwas einen verlegenen Blick zu. Der lächelte ihm jedoch beruhigend zu.
»Was hast du bloß für Ideen!«, ereiferte sich Sutar. »Hätten wir die Thronfolge ändern sollen? Das hätte erst recht zu blutigen Unruhen geführt! Nein, es gab nur diesen einen Ausweg. Folglich legten der Wesir und ich unsere feierlichen Gewänder an, nahmen ein Seidenband und gingen zum jungen Abnuwas. Er war damals in deinem Alter, Trix. Wir fanden ihn in ebendiesem Zimmer, auf einem Hocker aus Mahagoni und den Hals entblößt. ›Ich weiß, weshalb Ihr gekommen seid‹, sagte er und lächelte uns an. ›Tut, was Ihr tun müsst, denn es ist richtig. Ich bin Euch aus tiefstem Herzen dankbar für Eure Hilfe. Ihr seid prachtvolle, gute Männer.‹ Wir legten ihm das Band um
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