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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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erfindungsreichen Sängern neu vermengt und geschmolzen und in eine andere Form gegossen.
    Die verspielten Unwahrheiten des Fürsten von Ithaka gaben ihm keine neue Form, wohl aber einen neuen, sehr alten Weg: Wenn die Lüge ein Wall gegen die Finsternis sein kann und die Wahrheit ein Rammbock wäre, der das Chaos in die Stadt einließe, so laß die Lüge bestehen, und kleide die Wahrheit neu ein, daß sie als hübsche Lüge genossen werden kann. Mach den Rammbock durch Verkleiden und Verschneiden zum friedlichen Hammel, der in den üppigen Gärten der Zukunft grasen mag. Kleide die Wahrheit neu, aber laß Teilchen im Gewand, die sich vom übrigen Gewebe unterscheiden, so daß ein scharfes Auge sie sehen und auf die echte Herkunft der Dinge schließen kann.
    Es bedurfte nur geringer Eingriffe und Ergänzungen. Solon tilgte alle Verweise auf Himmelsrichtungen. Er nahm die Monde der Ägypter als Jahre für Hellenen und ließ in der Vorrede, die er dem alten Priester zu Sais in den Mund legte, einige Dinge zu ungeheurer Größe aufschwellen und andere, die wichtiger waren, so lange schrumpfen, bis sie winzig wurden. Er ersetzte vertraute Namen durch andere, die er als Übersetzungen aus dem Ägyptischen ausgab, und erfand Götter und Stammväter. Ilos, sagte man, habe die Burg Ilios (die längst Ilion genannt wurde) gebaut, und Tros die Stadt Troja, Heimat der Trojaner. Solon führte die Könige auf einen entlegenen Vorfahren zurück, den er Atlas nannte, und in der Vorgeschichte seiner Geschichte gab der alte ägyptische Priester den Trojanern nun einen Namen, der von Atlas abgeleitet war. Schließlich, sagte sich Solon mit einem halb zweifelnden, halb der Rechtschaffenheit des Vorgehens gewissen Lächeln, sei es nicht so wichtig, ob die Stadt Wirudja genannt wurde, wie von den Ägyptern, oder Wilusa, wie von den (in Hellas längst vergessenen) Hethitern und Luwiern, oder Asia wie die engste Umgebung (inzwischen Name des ganzen Festlands), oder Ilios, Ilion, Trosia, Troja, Hort des Dardanos, Heim des Priamos (zweifellos hatten andere Völker die Stadt wieder anders genannt) oder eben, wie er sie vom alten Ägypter in Sais nennen ließ, Atlantis. Bedeutete es denn so viel, daß Muqannu und Achiawa nicht im Namen Hellas erkennbar waren? Daß die große Stadt Men-nofer von den Assyrern Mimpi genannt wurde, woraus die Hellenen Memphis gemacht hatten? Daß ebenfalls die Assyrer den Namen des großen Ptah - Tempels, der Hitkutptah oder so ähnlich (er wußte es nicht mehr und konnte in Athen keinen fragen) lautete, als Hikupta hörten und die Hellenen daraus Aigypten gewannen als Namen für das ganze Land Tameri? Daß der gewaltige Strom Aigyptos nun nicht mehr Jotru hieß oder Hapi (jedenfalls nicht außerhalb von Ägypten), sondern neilos , und daß dieser Nil nichts war als eine hellenische Übernahme des assyrischen Worts neqelu , Strom? Wie viele Namen mochte Athenai gehabt haben? Und war es ein Verbrechen, den tausend Namen der von den langhaarigen Achaiern zerstörten Stadt einen weiteren hinzuzudenken? Aber all dies hinzuschreiben war eine Sache, es den Menschen zu übergeben eine andere. Etwas, eine unerklärliche Scheu, ließ Solon immer wieder davor zurückschrecken. Im Lauf der Jahre fand er viele Erklärungen für diese Scheu, aber keine, die ihn wirklich befriedigte; er fand und erfand auch viele Ausreden für seine Freunde und Mitbürger, die wußten, daß er an einem großen Gedicht arbeitete, das nicht fertig werden wollte.
    Achtundzwanzig Jahre nach seiner Rückkehr aus Ägypten gaben ihm seine Athener einen Grund, alles aufzugeben und die Stadt zu verlassen, als sie die Freiheiten und Pflichten, die er zur Regelung der Dinge gefunden hatte, in einen böigen, ätzenden Wind schlugen und freudig in den Sumpf der Knechtschaft wateten. Von siecher Lust befallen stimmten sie der Tyrannei des Peisistratos zu; Solon der Greis trug als einziger Schild und Speer des freien Bürgers in die Versammlung, stemmte sich als einziger gegen die Tyrannei; da er keinen Widerstand gegen Peisistratos bewirken konnte, legte er die Waffen vor dem Amtsraum des Strategen nieder und ging.
    Zu alt und gebrechlich für weite Reisen, zu klug, um der Verfolgung töricht weiter Ziele in der Politik zuzustimmen, verbrachte er die letzten Jahre in einem Landhaus außerhalb Athens. Bis zum Schluß gab er vor, an einem gewaltigen Epos zu arbeiten, das Atlantis heißen und den heldenmütigen Kampf der Vorfahren gegen einen beinahe idealen

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