Troja
fünfzehn war. Ich wurde Sklavin im Tempel, dann bei einem anderen Heiler, der die Familie gekannt hatte. Er hat mich als Tochter behandelt und in Kräuterkunde unterwiesen. Dann starb er, seine Verwandten haben mich verkauft. Vier Herren – der letzte wurde von Kriegern getötet, und ich mußte mit ihnen ziehen.« Sie verzog keine Miene. »Für Babilu – aber sie waren immer an der Grenze, und bei einem Gefecht mit Assyrern haben sie verloren. So kam ich in die Festung, wo wir dir übergeben wurden.«
»Und dein Name, Lamashtu?«
Sie lächelte flüchtig. »Meine Mutter starb am Fieber, als ich geboren wurde. Da hat mein Vater mich nach der Fieberdämonin benannt.«
»Du wirst nicht mehr in der Kette gehen, Lamashtu. Alles weitere bereden wir später. – Du, Adapa: Warum heißt du so?«
Der Alte entblößte mehrere Zahnlücken. »Ich war Schreiber, Herr, und maßloser Leser alter Schriften. Deshalb weiß ich einiges.«
»Hast du, wie der Adapa der Geschichte, die Weisheit gewählt, als ein heimtückischer Gott dich zwischen Weisheit und Unsterblichkeit wählen ließ? Die er dir nie gegeben hätte?«
»Ich hätte die Unsterblichkeit genommen, alt wie ich bin. Aber man hat mir keine Wahl gelassen.«
»Woher?«
»Aus Lagash. Schulden, Herr – zuviel Lesen und nicht genug Silber. Da hat man mich verkauft. Der übrige Weg ist ähnlich wie bei Lamashtu.«
»Keine Kette mehr für dich. – Tsanghar?«
Der junge Mann runzelte die Stirn. »Ich bin aus Kashka, Herr. Waise. Ich habe sehr geschickte Hände. Und, wie man sagt, verrückte Einfalle. Ich habe in einer Werkstatt in Ashur gearbeitet, bessere Karren gebaut, einen besseren Pflug, derlei. Ich hatte eine Freundin; ein Hauptmann der Palastwache wollte sie haben.« Er drehte sich um; im gemaserten Vormittagslicht unter den Bäumen sah Ninurta die tiefen Striemen auf dem Rücken. »Was kann ein kleiner Handwerker gegen einen Hauptmann der Palastwache tun?«
Zwei Tage brachten sie im Wald zu, bis Ninurta sich kräftig genug fühlte, ein Pferd zu besteigen und, vor allem, oben zu bleiben. Zwei Tage zogen sie durch den lichten Wald, nach Westen. Als sie den Arantu erreichten, entließ Ninurta die assyrischen Krieger mit Dank und Silber. Und mit guten Wünschen, denn bis sie in assyrisches Gebiet kämen, müßten sie hunderte Meilen durch Feindesland reiten, ohne einen Händlerzug als Ausrede.
In den zehn Tagen, die man bis Ugarit brauchte, dachte Ninurta immer wieder über seine seltsamen Träume nach. Träume, die zusammengefaßt und entstellt hatten, die in Teilen überdeutlich, in anderen sehr wirr gewesen waren. Der Vorfall mit Alexandros und Helena lag vier Jahre zurück. Auch diesmal waren die Händler mit zwei Schiffen gekommen, aber neben der Yalussu , die Awil-Ninurta gehörte, war es die Kynam , Zaqarbals Schiff. Djoser hatten sie im Hafen von Gubla aufgelesen; der Rome hatte sein nicht besonders gutes Schiff teuer verkaufen können. Die Erinnerung an Hamurapi, der sie zu königlichen Händlern ernannte… das lag noch viel länger zurück; damals war Ninurta allein gekommen, als Nachfolger eines anderen Händlers, und Hamurapi hatte ihn lediglich bestätigt.
Und die Zwischenzeit? Vier Jahre, die so geringe Spuren in seinem Geist hinterlassen hatten, daß sie für den Traum (oder das, was den Inhalt der Träume bestimmte) unerheblich waren? Keret lebte noch immer, schien nicht schwächer zu werden – keine Änderung. Tashmetu, Göttin der Nacht, teilte Ninurtas Lager, wenn er in Ugarit weilte – keine Änderung.
Andere Dinge hatten sich geändert. Krieg auf Alashia, wo fast die gesamte Westhälfte der Insel den Hethitern entglitten war; ein ungenauer, unerklärter Krieg im Binnenland um Grenzgebiete zwischen Arzawa und dem Hatti-Reich; Rüstungen in den Städten der Achaier gegen Ilios; Festigung und Ausdehnung der Macht des Madduwattas, den man den Dunklen Alten nannte und der die umliegenden Lande mit Spitzeln, Meuchelmördern und Priestern verseuchte – Priestern, die einen Gott namens Shubuk verehrten, der ein Krokodil oder Drache war und Menschenopfer wollte, wie es hieß.
Reisen, außerdem. Fahrten und Funde. Handel. Damals, vor vier Jahren, waren sie von Ugarit zurückgekehrt zu der geheimen Insel, mit kurzem Halt in Ialysos, wo Schiffbauer bis zum folgenden Frühjahr zwei neue Frachtsegler fertigstellen sollten, für Zaqarbal und Djoser. Der Winter auf der Insel, keine zwei Tagereisen von Roddu entfernt.
Im Jahr darauf die Fahrt nach
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