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Troja

Troja

Titel: Troja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Elphenor im Gästeflügel des Palasts unterzubringen; Elphenor verschwand bald, um sich durch die Schänken und Freudenhäuser von Sais zu treiben. Am dritten Tag in Sais begann Solons Niedergang.
    Am Anfang stand die Begegnung – genauer: Wiederbegegnung; sie hatten sich am Vortag beim Empfang flüchtig beschnuppert – mit dem alten Phönikier. Ahiram war jenseits der sechzig, mit Augen wie schwarze Sonnen und einem Gesicht wie der brüchige Boden eines trockenen Bachbetts. Er war Steuermann an Bord eines der Schiffe gewesen, die Necho, Vater des jetzigen Pharao Psamik, vor einem Jahrzehnt zur Umrundung Libyens ausgesandt hatte.
    »Ich hause im Tempel, wie es Göttern und gottlosen Seeleuten zusteht.« Ahiram grinste ins grelle Nachmittagslicht und zog Solon weiter durch die brodelnden Gassen. Auf einem kleinen dreieckigen Markt, zwischen Verkaufstischen und Ochsenfladen, umschwirrt von Fliegen und von Hühnern umpickt, hatten sie dünnes Bier getrunken und Früchte gegessen. »Der alte Wen-Amun will alles wissen; deshalb hat er mich aufgenommen und läßt mich schreiben. Ich schreibe langsam.« Der Phönikier kicherte. »Wozu soll ich mich beeilen? Sobald mein Bericht fertig ist, wird kein Platz mehr für mich im Tempel sein.«
    »Wie lange wart ihr unterwegs?«
    Ahiram steuerte den Athener in eine winzige Gasse zwischen Lehmhütten. »Hier lang. Drei Jahre und etliche Monde.« Während sie durch die immer engere, immer schäbigere Nordstadt zum Tempel gingen, erzählte er vom Kanal, den Necho graben ließ, und den Schiffen, die phönikische Meister in Tyros bauten. Von Tyros durchs Große Grüne zu den Nilmündungen, aufwärts nach Sais, dann zum östlichsten Nilarm und durch den neuen Kanal ins Ostmeer, das Ägypten von den Wüsten Arabiens trennt. Nach Süden, immer nach Süden, zu den Weihrauchlanden, dann nach Südwesten. Er berichtete von Küsten und Inseln, von Dörfern mit dunkelhäutigen Menschen, von Häfen, in denen gute Schiffe lagen – Schiffe von Herrschern, deren Namen keiner in Ägypten je gehört hatte. Vom Regenwind und vom Winterwind, der sie nicht vorankommen ließ, so daß sie lange Monde an Land verbrachten, säten und ernteten, bis endlich ein anderer Wind aufkam. Von den gewaltigen Wogen bei einem Vorgebirge, das an die Form einer Nadel erinnerte, und vom zweiten Winter in einer Bucht zu Füßen eines tischähnlichen Bergs, der dort lag, wo die unendliche Küste des tiefen Südlands nach Norden schwenkte.
    Eine Tempelsklavin, nackt bis auf einen knappen Schurz, brachte ihnen Becher und drei Krüge: einen mit kühlem Brunnenwasser, einen mit Saft verschiedener Früchte, einen mit kretischem Wein. Die Frau war gebräunt, wiewohl hellhäutig, hatte zartrote Brustspitzen, duftete nach Öl und Salben und bewegte sich wie ein schönes schlüpfriges Tier, aber Solon nahm sie eher als Störung wahr – Störung in Ahirams Bericht.
    Der Tempel des Amun stand auf einem Hügel im Schwemmland, war aus weit hergebrachten Steinen errichtet und überragte die Stadt einschließlich des niedrigen, weitläufigen Palasts. Von der hohen Terrasse, von einem Schirm aus Palmwedeln beschattet, sah Solon das fruchtbare Flußland, die Kähne auf dem Hapi, die Bewohner des Landes Tameri und die zahllosen Fremden in den Gassen und auf den Märkten, aber eigentlich sah er all dies nicht. In seinem Geist entstanden Bilder – unendliche Wasserwüsten, schroffe Küsten, weite Buchten, seltsam geformte Schiffe. Unglaubliche Vögel mit Flügeln, die von einem Ende zum anderen vier oder fünf Mannslängen maßen. Menschengroße Affen, die aus dichten Küstenwäldern Steine und riesige Nüsse nach den lagernden Seeleuten warfen. Feuerberge. Waldinseln. Seehunde und Wale und bunte kreischende Vögel…
    »Habt ihr eigentlich nie befürchtet, ihr könntet über den Rand der Erdscheibe hinausgeraten?«
    Ahiram sah ihn ausdruckslos an. »Erdscheibe?« Er bewegte sich auf dem knirschenden Schemel und rieb den Rücken an der Steinwand, hinter der seine Gemächer und die der Priester lagen. »Scheibe, umflossen vom gewaltigen Strom des Okeanos? Ha.«
    Okeanos war das einzige hellenische Wort des Satzes. Das Gespräch – ein zungenbrecherisches Gemenge aus Phönikisch, Ägyptisch und Hellenisch, mit gelegentlichen Fetzen der alten Verhandlungssprache der Fürsten, Assyrisch – beanspruchte Solons Geist fast ebenso wie der Inhalt von Ahirams Bericht.
    »Wieso ha ?«
    »Als wir aufbrachen, stand mittags die Sonne über uns – im

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